Um den Begriff „Die Banalität des Bösen“ kommt man nicht herum, wenn man über Kirill Serebrennikovs Film „Das Verschwinden des Josef Mengele“ schreibt. August Diehl spielt den als „Engel des Todes“ bekannten Arzt, der in Auschwitz selektierte und grausame Experimente durchführte, als zunehmend verbitterten, vor Selbstmitleid triefenden Mann, der im südamerikanischen Exil sein Schicksal beklagt. Brillant gefilmt, schonungslos und entlarvend.
Über den Film
Originaltitel
Das Verschwinden des Josef Mengele
Deutscher Titel
Das Verschwinden des Josef Mengele
Produktionsland
DEU,FRA
Filmdauer
135 min
Produktionsjahr
2025
Regisseur
Serebrennikov, Kirill
Verleih
DCM Film Distribution GmbH
Starttermin
23.10.2025
Rattenlinie. Ein passender Name für den Fluchtweg, auf dem zahlreiche Nazis nach dem Zweiten Weltkrieg das sinkende Schiff verließen, von alten und neuen Sympathisanten unterstützt und in Südamerika eine neue Heimat fanden. Besonders in Argentinien, wo Juan Péron zu faschistischem Gedankengut neigte und die Expertise der Alt-Nazis zum industriellen Aufbau des Landes nutzte. Neben Adolf Eichmann, der später vom Mossad entführt und in Israel vor Gericht gestellt wurde, war es besonders Josef Mengele, der zu den Nazi-Berühmtheiten zählte, die lange Jahre ein recht unbeschwertes Leben in Argentinien führen konnten.
Erst nachdem Péron 1955 gestürzt wurde, änderte sich die Lage und Mengele musste weiterziehen. In seinem Fall waren das zunächst Paraguay und in den letzten Jahren seines Lebens Brasilien. Bizarrerweise konnte Mengele aber noch Mitte der 50er Jahre einen offiziellen deutschen Reisepass auf seinen eigenen Namen erhalten, denn ein Haftbefehl gegen ihn lag nicht vor. Zu diesem Zeitpunkt tauchte Mengele offenbar mindestens einmal in seiner Heimat in Bayern auf, im kleinen Ort Günzberg, wo seine Familie unter dem Namen Mengele Agrartechnik ein florierendes Unternehmen führte, dessen Einnahmen auch die Flucht des verlorenen Sohns finanzierte.
Serebrennikov erzählt auch vom nachlässigen Umgang der deutschen Behörden, der deutschen Bevölkerung mit der eigenen Geschichte, von Lebenslügen und billigen Ausreden und davon, ob der deutsche Umgang mit der Vergangenheit wirklich so vorbildlich und vor allem erfolgreich war, wie es oft heißt. Lange Zeit hat es sogar den Anschein, als würde sein Film nur in den Jahren nach dem Krieg spielen, als die deutsche Exilgemeinde in Südamerika rauschende Feste feierte, sich von Bediensteten Champagner servieren ließ und das, was erst wenige Jahre zuvor in Deutschland und Europa passiert war, völlig verdrängt hatte. Mit ihren heroischen Taten prahlen die Männer, vom ehrenhaften Kampf, doch das Verdrängen kann nicht von Dauer sein.
Für Mengele ist es der Besuch seines Sohnes Rolf, ein Hippie, ein Linker, der in den 70er zu ihm reist, geprägt von den Entwicklungen der Studentenbewegung, dem Verlangen an die Eltern-Generation, sich endlich der eigenen Vergangenheit, der eigenen Verantwortung zu stellen.
Erst in diesem Moment springt der Film in die Vergangenheit, in den Zweiten Weltkrieg, nach Auschwitz – wo Mengele mit seiner Frau das Leben genießt, einen Sommertag am See verbringt, offensichtlich völlig unbeeindruckt vom Grauen, das er im Lager anrichtet. Ein wenig erinnert dieser Moment an den Ansatz den Jonathan Glazer in „The Zone of Interest“ wählte und ähnlich wie der Brite deutet auch Serebrennikov an, dass das Lügengebilde, indem Mengele sich versteckt hat, langsam Risse bekommt.
Immer dunkler wirkt das schwarz-weiß, in dem „Das Verschwinden des Josef Mengele“ gefilmt ist, immer bedrohlicher wirkt die Natur, die dunklen Wolken, immer enger die Wohnungen, die Behausungen, in denen Mengele die letzten Jahre seines Lebens verbringt. Irgendwann 1977 starb der Engel des Todes, seine Knochen wurden erst viele Jahre später gefunden, sein Ableben per DNA-Analyse wirklich bestätigt und damit auch alle Verschwörungstheorien beendet.
Michael Meyns