Deine Schönheit ist nichts wert

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In seinem souverän gefilmten Debütfilm verbindet Hüseyin Tabak gekonnt eine realistische Alltagserzählung mit verträumt-surrealen Momenten. Der 12-jährige Veysel ist mit seiner Familie vor wenigen Monaten nach Österreich emigriert und muss sich nun in der neuen Welt zurecht finden. Sein größtes Problem: er soll ein Gedicht auf Deutsch auswendig aufsagen. In seiner Not wendet er sich an den Nachbarn und bittet ihn, das Gedicht des türkischen Dichtes und Sängers Asik Veysel „Deine Schönheit ist nichts wert“ ins Deutsche zu übertragen.

Webseite: www.deine-schoenheit-ist-nichts-wert.at

Österreich 2012
Regie und Buch: Hüseyin Tabak
Darsteller: Nazmi Kirik, Lale Yavas, Abdulkadir Tuncer, Orhan Yildrim, Yüsa Durak, Milica Paucic
Länge: 85 Minuten; FSK: ab 6
Verleih: barnsteiner-film
Starttermin: 10.4.2014
 

FILMKRITIK:

Vor wenigen Monaten ist der 12-jährige Veysel mit seiner Familie aus der Türkei nach Österreich gezogen. In der Türkei saß der Vater als kurdischer Guerillakämpfer jahrelang im Gefängnis. Jetzt ist die Familie endlich wieder zusammen, aber die neue Situation sorgt für Spannungen: die Eltern streiten sich über die Erziehung der Söhne, Veysels älterer Bruder treibt sich in den Straßen herum und beschimpft den Vater als Terroristen und Veysel selbst, ohnehin schon ein verträumtes Kind, zieht sich immer mehr in sich selbst zurück. In der Schule versteht er aufgrund der Sprachschwierigkeiten nur wenig und verbringt seine Zeit damit, von der Nachbarstochter Ana zu träumen. Und als die Lehrerin in der Schule verlangt, dass er ein Gedicht auswendig lernen soll, stellt das ein schier unüberwindliches Problem dar, bei dem ihm niemand in seiner Familie helfen kann. Schließlich bittet er den Nachbarn Cem, einen jungen Mann der auf den ersten Blick kaum der lyrische Typ zu sein scheint, ihm dabei zu helfen, das Gedicht „Deine Schönheit ist nichts wert“ des berühmten türkischen Sängers und Dichters Asik Veysel ins Deutsche zu übersetzen.
 
Anhand von Veysels Perspektive schildert Hüseyin Tabak ebenso realistisch wie poetisch den Alltag einer frisch eingewanderten Familie, die zusätzlich zum normalen Familienstress auch noch mit Angst vor Abschiebung und Verfolgung, mit Sprachschwierigkeiten und Behörden zu kämpfen haben. Dabei sorgt der Blick des Heranwachsenden für eine schöne Verschiebung der Perspektive. Veysels Tagträume führen zu surrealen Momenten in der ansonsten realistisch gehaltenen Erzählung, und seine Probleme – so überwältigend sie ihm scheinen – haben den Vorteil, das sie lösbar sind. Der Nachbar, der eigentlich keine Lust auf den kleinen Jungen hatte, erweist sich als guter Kumpel. Die Szenen der beiden sind so liebevoll erzählt, dass man sich vorstellt, dass der Regisseur sich vielleicht einst so einen Freund gewünscht hat oder dass er selbst für einen anderen kleinen Jungen einer sein würde.
 
Tabak hält die Balance zwischen der Alltagsrealität und der Innenwelt seines jungen Helden. Am Ende dieses beeindruckend souverän geschriebenen, gefilmten und gespielten Debütfilms kommen dann das Politische, das Private und das Existentielle in einer schönen, wehmütigen Szene zusammen, die an die großen Filme des italienischen Neorealismus erinnert.
 
Hendrike Bake