Der blaue Tiger

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An die große Tradition des tschechischen Kinderfilms versucht Petr Oukropec mit seinem Debütfilm „Der blaue Tiger“ anzuknüpfen. Mit einigem Erfolg, denn seine Geschichte von zwei Kindern, die in einem verwunschenen botanischen Garten mitten in der Stadt leben und durch die Kraft ihrer Imagination einen blauen Tiger herbeizaubern, überzeugt durch eine unaufgeregte Geschichte und eine magische Atmosphäre.

Webseite: www.derblauetiger.de

Tschechien 2012
Regie: Petr Oukropec
Buch: Tereza Horváthová, Petr Oukropec
Darsteller: Linda Cotrubová, Jakub Wunsch, Barbora Hrzánová, Jan Hartl, Daniel Drewes, Stano Pytonák
Länge: 90 Minuten
Verleih: farbfilm Verleih
Kinostart: 31. Oktober 2013

PRESSESTIMMEN:

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FILMKRITIK:

Wie aus der Welt gefallen wirkt der Botanische Garten, in dem die neunjährige Johanna mit ihrer Mutter lebt. Eingerahmt von Bahngleisen und hohen Häusern verfällt der Garten zunehmend, das Gewächshaus verliert Scheiben, die Pflanzen wachsen mehr schlecht als recht vor sich hin und selbst der Papagei des Gärtners Blume sieht arg zerrupft aus. Mit Blumes Sohn Mathias besucht Johanna die nahe gelegene Schule, wo eine drachenähnliche Aufseherin für Ordnung sorgt.

Ähnlich unsympathisch ist der aalglatte Bürgermeister Nörgel, der sich bald zur Wiederwahl stellt und finstre Pläne schmiedet: Ein ganz neues Stadtviertel soll entstehen, voller Glas und Hochhäusern, aber ohne Seele. Dafür müsste auch der Botanische Garten weichen, Johanna, Mathias und ihre Eltern wären heimatlos. Doch Nörgel hat die Rechnung ohne die Imagination von Johanna gemacht, deren Träume plötzlich wahr werden: Anfangs ist es nur ein Schatten, der durch die Straßen huscht, doch bald hat der blaue Tiger den Weg in den Garten gefunden.

Längst ist er da zur Attraktion der Stadt geworden, zumal gleichzeitig viele kleine Hunde verschwunden sind. Sehr zum Unwillen von Nörgel reden alle Menschen nur noch über den Tiger und nicht mehr ihn und seine ambitionierten Pläne. Damit sich das möglichst schnell ändern, setzt Nörgel einen Jäger auf den Tiger an, doch er hat die Rechnung ohne die Kinder gemacht.

Wer in den 70er oder 80er Jahren aufgewachsen ist, kam nicht an Fernsehserien und Spielfilmen aus Tschechien vorbei, die mit ihrer enormen Imaginationskraft begeisterten. Doch von der Tradition von „Pan Tau“, „Die Märchenbraut“ oder „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“ ist nicht mehr viel übrig geblieben. Was wohl nicht zuletzt an der Macht einer Art von Kino liegt, das auf technischen Bombast und Überwältigungsästhetik setzt und weniger auf originelle Geschichten.

Mit teuren Hollywood-Filmen kann und will Petr Oukropecs „Der blaue Tiger“ zum Glück nicht mithalten. Von Anfang an setzt er mehr auf Atmosphäre als auf Bombast, erzählt ruhig, fast meditativ und nicht überhastet, lässt der Geschichte und seinen jungen Hauptdarstellern viel Raum und Zeit zur Entfaltung und vor allem zum Innehalten, zum Wahrnehmen der merkwürdigen Welt, die sie umgibt. Ganz sparsam wird diese durch animierte Sequenzen ergänzt, in denen kleine Kritzeleien auf der Schulbank zum Leben erwachen, aus dem aufgetürmten Haarschopf der Aufseherin Drachenköpfe wachsen oder der Tiger magisch glänzt.

Dass dabei die Geschichte ein wenig ereignisarm abläuft, sich die Probleme wie von selbst lösen, ist leicht zu verschmerzen. „Der blaue Tiger“ lebt weniger von einer ausgefeilten Geschichte oder dramatischen Verwicklungen, als von seiner magischen Atmosphäre. Mit einfachen Mitteln – etwa einer punktuell eingesetzten Fischaugenoptik oder extremen Untersichten, die die Perspektive der Kinder andeutet – entsteht eine Welt, die der unseren ähnelt, aber doch eher eine kindliche Phantasiewelt ist. Und genau dafür war das tschechische Kino Jahrelang bekannt und wird es durch Filme wie diesen vielleicht bald wieder sein.

Michael Meyns