Der geheimnisvolle Blick des Flamingos

Für seinem bemerkenswerten Debütfilm „Der geheimnisvolle Blick des Flamingos“ wurde der chilenische Regisseur Diego Céspedes in Cannes mit dem Hauptpreis der Sektion Un Certain Regard ausgezeichnet. Zurecht, denn wie Céspedes auf allegorische Weise vom Beginn der AIDS-Pandemie erzählt, dabei magisch realistische Elemente einbaut ist berührend und sehenswert.

 

Über den Film

Originaltitel

La misteriosa mirada del flamenco

Deutscher Titel

Der geheimnisvolle Blick des Flamingos

Produktionsland

FRA, CHL, DEU, SPA, BEL

Filmdauer

109 min

Produktionsjahr

2025

Regisseur

Céspedes, Diego

Verleih

n.n.

Starttermin

04.12.2025

 

Chile, 1982. Irgendwo in den Bergen, abgelegen und schroff wirkt die Landschaft, eine Mine sorgt für Arbeit, in einem baufälligen Schuppen lebt eine improvisierte Familie von Transvestiten, wie sie sich der Zeit entsprechend selbst nennen. Darunter Flamingo (Matías Catalán), deren elfjährige Tochter Lidia (Tamara Cortés) von den gleichaltrigen Jungs des Dorfs gehänselt wird.

Denn auch wenn die Shows, die die Drag Queens jeden Abend aufführen, zu den wenigen Ablenkungen im tristen Alltag zählen, ist die Aversion spürbar. Zumal eine mysteriöse Plage die Ortschaft Heimsucht, deren Ursachen längst übernatürliche Qualitäten zu haben scheint. Durch Blicke soll die Plage übertragen werden, was bedeutet, dass die männlichen Bewohner es tunlichst vermeiden wollen, die Transvestiten anzuschauen – auch wenn ihnen genau danach verlangt.

Auch wenn die Begriffe HIV oder AIDS nicht fallen wird der Bezugsrahmen von Diego Céspedes Debütfilm schnell deutlich. Die Angst vor dem Anderen, vor dem Unbekannten prägt das Verhältnis der Minenarbeiter und der Gruppe von Drag Queens, die abgeschieden vom Rest des Dorfes leben, aber doch Teil der Gemeinschaft sind. So wie zu Beginn der AIDS-Pandemie die Unklarheit über Übertragungswege zu absurden Theorien führte, wie der Sorge, dass die damals noch unbekannte und nicht benannte Krankheit über bloßes Händeschütteln übertragen werden könnte, sind es in der Welt von „Der geheimnisvolle Blick des Flamingos“ Blicke, denen Gefahr zugeschrieben wird.

Das bloße Sehen als Risiko, eine wunderbare Allegorie für die Kraft und Möglichkeiten des Kinos, Vorurteile zu hinterfragen, Dinge zu zeigen, die ansonsten verborgen bleiben, Menschen eine Sichtbarkeit zu verleihen, die ansonsten nicht gesehen werden.

Sehr modern wirkt Diego Céspedes Film in dieser Hinsicht, während er sich ästhetisch bewusst der Zeit nähert, in der die Handlung angesiedelt ist: Im fast quadratischen Format 4:3 gedreht, in grellen Farben, oft mit mobiler Handkamera, fast wie ein Underground-Film aus den frühen 80ern.

Dazu spielt der Chilene mit Elementen des lateinamerikanischen magischen Realismus, wie er vor allem durch Romane wie Gabriel Garcia Marquez „Hundert Jahre Einsamkeit“ oder – in diesem Kontext besonders passend – „Die Liebe in den Zeiten der Cholera“ geprägt wurde, dann auch Einzug ins Kino der Region hielt. Auch Céspedes bedient sich immer wieder fast surrealer Momente, lässt seine Geschichte ins magische, irreale Driften, in Traumwelten, in denen die Diskriminierungen und Vorurteile der Realität nicht existieren.

Ein bemerkenswerter Debütfilm ist ihm so gelungen, ungewöhnlich und originell, berührend und humanistisch, dem es auf allegorische, unprätentiöse Weise gelingt, von Diskriminierung und dem Wunsch, gesehen zu werden erzählt.

 

Michael Meyns

Mehr lesen

Neuste Filmkritiken

ℹ️ Die Inhalte von programmkino.de sind nur für die persönliche Information bestimmt. Weitergabe und gewerbliche Nutzung sind untersagt. Nachdruck nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Redaktion. Filmkritiken dürfen ausschließlich von Mitgliedern der AG Kino-Gilde für ihre Publikationen verwendet werden.