Nicht nur das Ende des Zweiten Weltkriegs und die deutsche Einheit jähren sich in diesem Jahr sondern auch ein anderes welthistorisches Ereignis: Am 1. August 1975 wurde in Helsinki die Schlussakte der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit unterzeichnet, die in der – etwas steilen – These von Arthur Francks spannendem Essayfilm „Der Helsinki-Effekt“ zum Anfang vom Ende der Sowjetunion wird.
Über den Film
Originaltitel
The Helsinki-Effect
Deutscher Titel
Der Helsinki-Effekt
Produktionsland
FIN,DEU,NOR
Filmdauer
88 min
Produktionsjahr
2025
Regisseur
Franck, Arthur
Verleih
Rise And Shine Cinema UG
Starttermin
12.06.2025
Mitten während des Kalten Krieges, der immer wieder drohte, ein heißer zu werden, war es die Diplomatie, die trotz aller Konflikte zwischen den Supermächten USA und der Sowjetunion, den Frieden sicherte. Schon 1969 hatte Leonid Breschnew, das damalige Staatsoberhaupt der Sowjetunion, einen Appell an die Europäischen Staaten gerichtet, mittels einer Konferenz, Wege der Zusammenarbeit zu finden, was gerade angesichts des Damoklesschwert eines Nuklearkrieges dringend notwendig schien, um den Frieden in Europa zu sichern.
Sechs Jahre später unterschrieb Breschnew zusammen mit 34 anderen Regierungschefs aus Europa, dazu kamen Vertreter aus Kanada und den USA, schließlich die Schlussakte der KSZE, ein Moment, der in Arthur Francks Blick auf die Geschichte als größter Fehler des Staatsmannes beschrieben wird. Warum das so sein soll wird erst am Ende des rasanten Montagefilms klar, für den der finnische Filmemacher ausgiebige Archivrecherche betrieben hat.
Zahlreiches Filmmaterial über die oft zähen Verhandlungen auf dem Weg nach Helsinki hat Franck zusammengetragen, vor allem aber auch die Gesprächsprotokolle der Konferenz sichten können, die erst Anfang der 2000er Jahre freigegeben wurden.
Hier findet sich im Wortlaut, was Breschnew sagte, aber auch Henry Kissinger, der damalige Sicherheitsberater der amerikanischen Präsidenten Richard Nixon und später Gerald Ford. Um diese Aussagen lebendig erscheinen zu lassen, traf Franck die Entscheidung, die Staatsmänner mittels einer Sprach-KI zu imitieren, was zwar zu erstaunlich überzeugenden Ergebnissen führt, aber auch zu nicht unproblematischen. Gerade wenn Franck eine Art Unterhaltung zwischen sich selbst und Henry Kissinger inszeniert, in der Kissinger mit Zitaten aus den Protokollen oder seinem Mitte der 90er Jahre erschienen Buch „Diplomatie“ quasi „antwortet“, verweist das in eine Zukunft, in der weder Bildern noch Sprachaufnahemn vertraut werden kann.
Überzeugender wirkt es dagegen, wenn Franck den langsamen Prozess der Konferenz nachzeichnet, nicht zuletzt auch die spezielle Position seiner finnischen Heimat in Augenschein nimmt, besonders die Rolle des langjährigen Staatspräsidenten Urho Kekkonen. Diesem gelang es über Jahrzehnte trotz der fragilen Lage Finnlands, das eine tausende Kilometer lange Grenze mit der Sowjetunion teilt, den Frieden zwischen den beiden Ländern zu sichern. Bis vor kurzem war Finnland dezidiert nicht Mitglied der NATO, nahm bewusst eine neutrale Rolle ein, die es auch möglich machte, als Ausrichter der KSZE zu fungieren.
Und dieser Konferenz gelang es vor nunmehr 50 Jahren tatsächlich, das Bemühen um Frieden und Demokratie festzuschreiben, was zwar auf den ersten Blick kaum mehr als ein schöner Gedanke erscheint, in der Realität aber zur Stärkung der Zivilgesellschaften gerade im Osten Europas beigetragen hat. Ob diese neuen Freiheiten allerdings tatsächlich so unmittelbar zum Ende der Sowjetunion und damit des Kalten Krieges führte, wie Franck behauptet, ist unter Historikern umstritten. Ohne Frage hat die KSZE jedoch die Sicherheit in Europa gestärkt und, wie Franck am Ende seines sehenswerten Essayfilms noch einmal betont, gezeigt, welche wichtige Rolle die oft verschmähte Diplomatie spielen kann. Gerade in der heutigen Zeit eine nicht zu vernachlässigende Lektion.
Michael Meyns