Mit seiner gefeierten „Der Herr der Ringe“-Trilogie nach J. R. R. Tolkien schuf Peter Jackson Anfang der 2000er-Jahre ein Fantasy-Epos für die Ewigkeit. Dessen Welt erforschte der Neuseeländer in den drei „Der Hobbit“-Filmen einige Zeit später erneut. Die Reaktionen fielen dieses Mal jedoch durchwachsen aus. Während Amazon 2022 mit „Der Herr der Ringe: Die Ringe der Macht“ eine sündhaft teure, im Tolkien-Universum angesiedelte Serienadaption ins Programm hievte, arbeitete die für die Leinwandwerke verantwortliche Produktionsschmiede New Line Cinema eifrig an einer neuen Kinoarbeit. Auch, um die Rechte an den literarischen Vorlagen nicht zu verlieren. Das Ergebnis hört auf den Namen „Der Herr der Ringe: Die Schlacht der Rohirrim“ und kommt als atmosphärisches, erzählerisch aber unrundes Anime-Spektakel daher.
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The Lord of the Rings: The War of the Rohirrim
USA/Japan 2024
Regie: Kenji Kamiyama
Drehbuch: Jeffrey Addiss, Will Matthews, Phoebe Gittins, Arty Papageorgiou
Originalstimmen: Gaia Wise, Brian Cox, Miranda Otto, Luke Pasqualino, Lorraine Ashbourne, Shaun Dooley, Benjamin Wainwright, Yazdan Qafouri u. a.
Länge: 135 Minuten
FSK: ab 12 Jahren
Verleih/Vertrieb: Warner Bros. Germany
Kinostart: 12. Dezember 2024
FILMKRITIK:
Rund 200 Jahre bevor der Hobbit Bilbo Beutlin durch Zufall in den Besitz des mächtigsten aller Ringe in Mittelerde gelangt, führt die wilde, freiheitsliebende Héra (Originalstimme: Gaia Wise), die Tochter von Helm Hammerhand (Brian Cox), dem König von Rohan, ein recht sorgenloses Leben. Inmitten der rauen Natur und auf dem Rücken ihres Pferdes fühlt sich die junge Frau am wohlsten. Eines Tages legt sich allerdings ein dunkler Schatten über das Reich ihres Vaters. Freca (Shaun Dooley), der Anführer der Dunländer, will seinen Sohn Wulf (Luke Pasqualino) mit Héra verheiraten, handelt sich jedoch einen Korb ein – was schließlich zu einer handfesten Auseinandersetzung zwischen ihm und dem König führt. Mit einem einzigen Fausthieb tötet Helm seinen Widersacher. Wulf sinnt daraufhin auf Rache.
Irgendwann hat er eine schlagkräftige Armee aufgebaut und wagt den Angriff auf Edoras, die Hauptstadt Rohans. Hammerhand und seine Söhne ziehen in die Schlacht. Héra hingegen evakuiert die Bewohner in die alte Hornburg, wohin sich schon bald auch der schwer verwunderte Herrscher zurückziehen muss. Wulf beginnt mit der Belagerung und verschwendet trotz des nahenden Winters keinen Gedanken daran, seine Mission zu beenden. Helms Familie muss vernichtet werden – um jeden Preis. Héra organisiert in der schier aussichtslosen Lage den Widerstand gegen den Feind.
„Der Herr der Ringe: Die Schlacht der Rohirrim“ tut es der Serienverfilmung bei Prime Video gleich und rückt, anders als die bisherigen Kinoarbeiten, eine weibliche Perspektive in den Mittelpunkt. Héra ist eine mutige, interessante Heldin, die im verkrusteten Denken ihres Vaters nicht als Strategin taugt, ihn dann aber eines Besseren belehrt. Kritik an der patriarchalen Ordnung, am männlichen Hang, Konflikte sofort mit Gewalt zu lösen und Macht mit ihr zu sichern, kommt in ihrer Figur zum Ausdruck. Nicht umsonst ist Héra mehrfach um Ausgleich bemüht.
Wirklich konsequent ist der Film in seiner Haltung allerdings nicht. Denn gleichzeitig feiert er wort- und gestenreich Helms Stärke und seinen unbezwingbaren Willen, obwohl der König seinen Teil zur Eskalation beiträgt. Die Beziehung zwischen Héra und ihrem Vater beleuchten die Macher um Regisseur Kenji Kamiyama leider nicht mit der gebührenden Sorgfalt, was auch für das Verhältnis der Prinzessin zu Wulf gilt, mit dem sie in Kindertagen gut befreundet war. Der Antagonist tritt als von Rache zerfressener Klischeeschurke auf, hat keine ambivalenten Facetten. Überhaupt fehlt es den meisten Charakteren an einprägsamen Eigenschaften.
Wo die Amazon-Serie, vor allem in der zweiten Staffel, Mühe und Not hat, ihr umfangreiches Personal und ihre diversen Handlungsstränge vernünftig unter einen Hut zu bringen, schlägt „Der Herr der Ringe: Die Schlacht der Rohirrim“ ins andere Gegenteil aus. Der Plot ist denkbar simpel, in Teilen leicht vorhersehbar. Im Fokus steht nur ein kleiner Ausschnitt der Tolkien-Welt. Dementsprechend leicht lässt sich das Figurenensemble überblicken. Minimalismus kann guttun. Hier fehlt es dadurch aber am epischen Atem, der Peter Jacksons erste Trilogie ausmachte. Der Titel des neuen Films täuscht dann auch ein wenig. Wer einen ausgedehnten Kampf wie in „Der Herr der Ringe: Die zwei Türme“ erwartet, dürfte das Kino etwas enttäuscht verlassen. Schlachtgetümmel gibt es. Angesichts der lange anhaltenden Belagerungssituation sind actionreiche Massenszenen jedoch nicht in großer Zahl vorhanden.
Im Gegensatz zum Drehbuch ist die optische Gestaltung aufregend. Dem Fantasy-Abenteuer dienten zwar die Bilder der Jackson-Blockbuster als Orientierungspunkte. Dank der japanischen Anime-Ästhetik sieht der Film aber noch einmal erfrischend anders aus – nicht zuletzt im Vergleich mit den beiden Tolkien-Zeichentrickadaptionen „Der Hobbit“ und „Der Herr der Ringe“, die Ende der 1970er-Jahre in die Kinos kamen. Kenji Kamiyama inszeniert atmosphärische Licht- und Schattenspiele und lässt die Emotionen der Figuren in prägnanten Nahaufnahmen ihrer Augen aufflackern. Die Stimmung der Ursprungstrilogie beschwören altbekannte Klänge herauf, die „Der Herr der Ringe: Die Schlacht der Rohirrim“ besonders an entscheidenden Wendepunkten zitiert. Wer inhaltlich keine großen Ansprüche stellt, kann also durchaus einen neuen Ausflug nach Mittelerde wagen.
Christopher Diekhaus