Vom Ende der 1920er Jahre, bevor der Tonfilm die Leinwand übernimmt, bis in die 30er Jahre, als die Nazis Deutschland regieren, begleitet der Film nach dem Roman von Gert Hofmann den „Kinoerzähler“ und damit das Ende einer Kunstform. Im Zentrum steht ein alter Mann, dessen Lebensinhalt es ist, einen Stummfilm mit Worten zu füllen – als Vermittler zwischen den Bildern und und dem Publikum.
Bernhard Sinkels Film, der 1993 Premiere hatte, kommt jetzt wieder anlässlich des 95. Geburtstags von Armin Müller-Stahl ins Kino: eine in mehrfacher Hinsicht nostalgische Reminiszenz – sowohl ans deutsche Autorenkino als auch an die Zeit des Stummfilms.
Über den Film
Originaltitel
Der Kinoerzähler (WA)
Deutscher Titel
Der Kinoerzähler (WA)
Produktionsland
DEU
Filmdauer
98 min
Produktionsjahr
1993
Regisseur
Sinkel, Bernhard
Verleih
Der filmverleih GmbH
Starttermin
18.12.2025
Die Apollo-Lichtspiele in einer deutschen Kleinstadt – die Leuchtreklame strahlt und darüber hängt ein gemaltes Großplakat, das den Stummfilm „Orlacs Hände“ ankündigt. Es regnet, trotzdem eilen viele Menschen ins Kino, und eine sanfte Männerstimme sagt: „Mein Großvater war der Filmerzähler dieser Stadt.“
Das Kino ist der Lebensmittelpunkt des Kinoerzählers, und Paul, sein Enkel, begleitet ihn überall hin, natürlich auch ins Kino. Abend für Abend steht Pauls Opa als charmanter Conférencier im eleganten Cutaway mit einer weißen Nelke im Knopfloch vor der Leinwand. Er kommentiert die Stummfilme, ergänzt Zwischentitel und lenkt plaudernd den Blick des Publikums auf alles, was ihm wichtig ist. Dabei geht er vollkommen in seiner Arbeit auf und wird wie ein Filmstar vom Publikum bejubelt. Zu Hause wartet seine Ehefrau (Tina Engel), die ihm offenbar weniger wichtig ist als das Kino, vielleicht weil sie ihn nicht so anhimmelt wie seine Geliebte Marga (Eva Mattes), die in nahezu jeder Vorstellung dabei ist, ebenso wie der kleine Paul. Er ist der ganze Stolz des Kinoerzählers, der die Faszination des Kinos und die Kraft des Geschichtenerzählens an ihn weitergibt. Als jedoch der Tonfilm die Kinos erobert, schrumpft erst der Ruhm des Kinoerzählers und dann sein Gehalt: Seine Dienste werden seltener, seine Kommentare gelten als störend.
Parallel dazu verändert sich das politische Klima. Nazis stören die Vorstellung und beanspruchen für sich eine neue, fatale Form von Öffentlichkeit. Der jüdische Kinobesitzer Theilhaber (Martin Benrath) gerät zunehmend unter Druck; das Kino wird zum Spiegel der gesellschaftlichen Verwerfungen, die sich zunächst scheinbar unmerklich ankündigen. Der Kinoerzähler versucht, das Unvermeidliche aufzuhalten. Er fährt mit Paul in die Babelsberger Studios, doch niemand ist bereit, ihn im Kampf gegen den Tonfilm zu unterstützen. Im Gegenteil: Er trifft dort auf einen Mann, der sich als Pauls Vater (Gojko Mitić) und als bekannter Schauspieler entpuppt.
Der Film zeigt ein Kaleidoskop von Veränderungen aus der Sicht eines kleinen Jungen, der alles registriert und nicht alles versteht, aber prinzipiell offen ist für alles Neue. Die Welt von Pauls Großvater, der vermutlich ein idealistischer Träumer ist, verändert sich. Es ist, als ob sie sich immer mehr von ihm entfernt, während er an seiner alten Form des Erzählens festhält und die politischen Zeichen falsch interpretiert. Er sympathisiert sogar zunächst mit den Nazis, weil er hofft, dass sie den Stummfilm wiederbeleben. Doch er wird enttäuscht. Die Ereignisse entwickeln sich tragisch, schuld daran ist vor allem der kettenrauchende Filmvorführer (Otto Sander).
Das Drehbuch (ebenfalls Bernhard Sinkel) mit dem alles wissenden Ich-Erzähler – der erwachsene Paul – als „Roter Faden“ legt den Fokus eher auf Gesten und Blicke als auf Dialoge. Das Erzähltempo ist langsam, die Atmosphäre ruhig – etwas zu langsam und zu ruhig für heutige Verhältnisse. Der Film wirkt zunächst nostalgisch und wird immer betulicher und statischer in seiner theatralen, fast didaktischen Dramaturgie, was auch an dem hochkarätigen Cast liegt, in dem sich die großen Namen der damaligen deutschen Theaterszene versammeln: Neben den Genannten spielen Udo Samel, Harry Baer und Franziska Troegner mit – lauter für sich genommen exquisite Darstellerinnen und Darsteller, die allerdings eher selten natürlich wirken, sondern ihre Dialoge häufig mit einer Bedeutungsfülle versehen, die gelegentlich manieriert wirkt.
Ganz anders dagegen Armin Müller-Stahl, schon längst eine Ikone des deutschen und internationalen Kinos. Seine Darstellung, wie auch das Spiel von Andrej Jautze als Paul ist unverkrampft und natürlich, es gelingt ihm, sogar die manchmal hölzernen Dialoge mit Leben zu füllen und ihnen eine Bedeutung zu geben, ganz ohne theatrale Gesten und Betonungen. Ihm bei der Arbeit zuzuschauen, ist schon allein diesen Film wert – Armin Müller-Stahl, ein echter Star des internationalen Kinos. Alles Gute zum 95. Geburtstag!
Gaby Sikorski







