Der Kreis

Zum Vergrößern klicken

Der Schweizer Kandidat für den Auslands-Oscar ist in diesem Jahr Stefan Haupts vor allem thematisch sehr interessanter „Kreis“, der die Menschen hinter der gleichnamigen Zeitschrift porträtiert, ein in der Schweiz legendäres Magazin der Schwulenszene. Stilistisch bedient sich Haupt dem Muster des Doku-Dramas und schneidet berührende Interviews mit Zeitzeugen neben nachgestellte Szenen.

Webseite: www.derkreis-film.de

Schweiz 2012
Regie: Stefan Haupt
Buch: Stefan Haupt, Christian Felix, Urs Frey, Ivan Madeo
Darsteller: Matthias Hungerbühler, Sven Schelker, Babett Arens, Aaron Hitz, Martin Hug, Peter Jecklin, Ueli Jäggi
Länge: 100 Minuten
Verleih: Edition Salzgeber
Kinostart: 23. Oktober 2014
 

Auszeichnungen/Preise:

Teddy Award Berlinale 2014 und Panorama-Publikumspreis Berlinale 2014

FILMKRITIK:

So konservativ die Schweiz heutzutage auch ist: In den 50er Jahren war sie was die Rechte von Schwulen angeht der Bundesrepublik deutlich voraus. Zumindest in juristischer Hinsicht war Homosexualität schon seit 1942 kein strafbares Vergehen mehr, während in der Bundesrepublik der so genannte Schwulenparagraph 175 erst 1993 vollständig abgeschafft wurde. Doch auch wenn rechtlich gesehen Homosexualität erlaubt war: In der Realität fand sie auch in der Schweiz vor allem im Untergrund statt, wurde mehr geduldet als akzeptiert.

So waren auch die Herausgeber der seit 1943 herausgebenenen Zeitschrift "Der „Kreis“, um die es in Stefan Haupts Film geht, auf große Vorsicht bedacht, besonders auf Geheimhaltung der Adressenliste ihrer zahlreichen Abonnenten. Zu diesen zählt bald auch der angehende Lehrer Ernst Ostertag (in den Spielszenen dargestellt von Matthias Hungerbühler), der zu Beginn des Films darauf hingewiesen wird, doch erst nach seiner Verbeamtung ein Abonnement zu zeichnen, denn dann könnte er nicht mehr entlassen werden. Ausgerechnet in einer Mädchenschule unterrichtet Ernst, stellt allerdings bald fest, dass auch sein Direktor hinter der bürgerlichen Fassade mit Frau und Kindern ein Doppelleben führt und regelmäßiger Besucher der Maskenbälle ist, die der Kreis in Zürich veranstaltet. Auf einer dieser mondänen Veranstaltungen lernt Ernst bald Röbi Rapp (Sven Schelker) kennen, einen Travestie-Künstler, mit dem er eine langjährige Liebesbeziehung eingeht. Die auch in den Jahren nach Auflösung des "Kreis" Ende der 60er Jahre fortbestand und 2003 als erste homosexuelle Lebensgemeinschaft der Schweiz eingetragen wurde.

Beide Männer sind inzwischen über 80 Jahre alt, was man ihnen in den Interviewszenen aber kaum anmerkt. Zusammen mit anderen Mitstreitern erinnern sie sich an die Zürcher Schwulenszene der 50er Jahre, die sogar so bekannt war, dass zum Wochenende regelmäßig ganze Flugzeugladungen aus Deutschland zu Besuch kamen, die das Bonmot Warm-Lufthansa prägten. Doch mit dieser Zeit war es bald vorbei: Zwei Morde in der Schwulenszene wurden von der Polizei zum Anlass genommen, die nur geduldeten Freiheiten einzudämmen und somit mittelfristig auch den "Kreis" und die von ihm herausgegebene Zeitschrift zu beenden.

Vor allem davon wird in den nachgestellten Spielszenen erzählt, die wie so oft im Genre des Doku-Dramas an ihrer etwas hölzernen Art kranken und nicht an die Qualität und Dichte der Interviews mit den Zeitzeugen herankommen, die mit zahlreichen zeitgenössischen Fotos untermalt sind. Dennoch ist der bei der Berlinale mit dem Teddy Award und dem Panorama-Publikumspreis ausgezeichnete „Der Kreis“ ein sehenswerter Film über eine kaum bekannte Episode der Schweizer Geschichte, deren Implikationen auch im Nachbarland von Relevanz sind.
 
Michael Meyns