Der Krieg in mir

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Auf den Spuren seines Großvaters, der im Zweiten Weltkrieg an der Ostfront kämpfte, bewegt sich Sebastian Heinzel in seinem Dokumentarfilm „Der Krieg in mir.“ Hat er, der Enkel, an den Erlebnissen oder vielleicht sogar Taten seines Großvaters zu leiden? Das ist die nicht endgültig zu beantwortende Leitfrage des Films, die für Heinzel Ausgangspunkt einer weitreichenden Recherche ist.

Webseite: derkrieginmir.de

Dokumentation
Deutschland/Schweiz 2019
Regie & Buch: Sebastian Heinzel
Länge: 83 Minuten
Verleih: Heinzelfilm; Vertrieb: Filmdisposition Wessel
Kinostart: 5. März 2020

FILMKRITIK:

Sebastian Heinzel führt ein angenehmes Leben, hatte nie selbst Erfahrungen mit Krieg, dennoch plagen ihn immer wiederkehrende Alpträume. Wo mögen deren Ursachen verborgen sein? Gibt es möglicherweise eine Verbindung zu seinem längst verstorbenen Großvater Hans? Dieser war im Zweiten Weltkrieg Soldat der Wehrmacht, war an der Ostfront, besonders auf dem Gebiet des heutigen Weißrussland eingesetzt. Was er dort erlebte, an welchen Kriegsverbrechen er möglicherweise beteiligt war, davon hat er wie so viele nicht geredet.
 
Sein Sohn Klaus, Sebastians Vater, berichtet von einem schwierigen Verhältnis zu seinem Vater, der auch nach dem Krieg, in eigentlichen Friedenszeiten, immer wieder durch aggressives Verhalten auffiel, nicht unbedingt gegen Klaus, aber gegen seine Angestellten. Verarbeitet hat der Großvater die Kriegstraumata wohl nicht, zu seiner Zeit wurde über so etwas eher nicht gesprochen.
 
Was passiert war, war passiert und sollte einfach vergessen und verdrängt werden. Inzwischen ist die Traumaforschung viel weiter, die Posttraumatische Belastungsstörung als Krankheit anerkannt. Soldaten, aber auch Ärzte oder andere Menschen, die auf die eine oder andere Weise in Kriegs- oder Katastrophengebieten zu tun haben, werden heutzutage psychologisch behandelt.
 
Doch manche Forscher gehen sogar noch weiter, die französische Forscherin Isabelle Mansuy,  Leiterin des Züricher Instituts für Neuroepigenetik etwa. Sie forscht seit Jahren an der Vererbung von Traumata, setzt zum Beispiel Mäuse besonderem Stress aus und untersucht anschließend, ob deren Nachkommen anders agieren als Nachkommen von Mäusen, die ein entspanntes Leben geführt haben.
 
Hier scheint sich eine Antwort auf die Alpträume von Sebastian Heinzel zu entwickeln, zumal der Regisseur seit Jahren ein besonderes Interesse an Weißrussland hat. Ist es nur Zufall, dass er schon des Öfteren in genau dem Land gearbeitet hat, in dem sein Großvater im schlimmsten Fall an Kriegsverbrechen beteiligt war, im besten Fall unter schwersten Bedingungen, bei Kälte und Hunger, die letzte Phase des deutschen Vernichtungskrieges gerade so überlebte?
 
Beweisen lässt sich diese These natürlich nicht, doch sie ist spannend und angesichts von vielen leicht zu beobachtenden Ähnlichkeiten zwischen Kindern und dem Leben, den Erlebnissen und dem Verhalten ihrer Eltern kaum von der Hand zu weisen. In diese Richtung weiter zu forschen wäre nun durchaus möglich gewesen, doch Heinzel entscheidet sich in seinem sehr persönlichen, auch sehr subjektiven Film, für eine andere, eine etwas plakative Möglichkeit.
 
Etwas außerhalb der weißrussischen Hauptstadt Minsk, an einem Ort, der früher Teil der so genannten Stalin-Linie war, der Verteidigungslinie der Sowjetunion, konfrontiert er sein Trauma. Bei Kriegsspielen aus Anlass des Tags der Befreiung schlüpft er in eine Uniform, kann sozusagen am eigenen Leib erleben oder zumindest eine Ahnung davon bekommen, was sein Großvater einst durchmachte. Dass seine Alpträume danach besser wurden, kann man Heinzel durchaus glauben, was der komplizierten Thematik vererbter Traumata sicherlich nicht ganz gerecht wird, aber zumindest Heinzels gerade in den Thesen, die er aufwirft, interessanten Film zu einem runden Abschluss bringt.
 
Michael Meyns