Der letzte Wolf

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Jean-Jacques Annaud bleibt sich treu und findet dennoch neue Wege: Wie in seinen großen Tierspielfilmen „Der Bär“ und „Zwei Brüder“ geht es auch in der Geschichte über Wölfe und Menschen um die Macht der Natur und den Kampf ums Überleben. Diesmal allerdings verbindet er eine starke, komplexe Story - nach dem erfolgreichsten chinesischen Roman aller Zeiten - mit unglaublichen Naturaufnahmen und kombiniert beides zu einer faszinierenden und abenteuerlichen Bilderreise, die eindringlich vom Versagen des Menschen gegenüber der Natur erzählt.

Webseite: www.wildbunch-germany.de

Originaltitel: LE DERNIER LOUP
Regie: Jean-Jacques Annaud
Buch: Jean-Jacques Annaud, John Collee, Alain Godard, Lu Wei
Darsteller: Shaofeng Feng, Shawn Dou, Ankhnyam Ragchaa, Yin Zhusheng, Basen Zhabu
Kamera: Jean-Marie Dreujou
120 Minuten
Verleih: Wild Bunch
Kinostart: 29. Oktober 2015

Pressestimmen:

"Ein lupenreiner Annaud-Film, der die Steppenlandschaft, wilde Wolfsrudel und packende Jagddramen im Schneesturm mit grandiosen 3D-Bildern einfängt. Seine Wildnis-Märchen "Der Bär" und "Zwei Brüder" fortschreibend, weitet Annaud hier die Perspektiven und verknüpft das Tier-Abenteuer mit Realhistorie und Öko-Fabel."
Süddeutsche Zeitung

FILMKRITIK:

In den endlosen Weiten der Mongolei leben in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts nur wenige Menschen. Sie sind Nomaden und wandern mit ihren Herden. Die Wölfe sind so etwas wie ihre meistgeliebten Feinde, vor denen sie Respekt haben, die sie fürchten und gleichzeitig verehren. Das Leben der Menschen am Rande der Zivilisation ist einfach – im Einklang mit der Natur und den Jahreszeiten. Während in den Städten Chinas die Kulturrevolution tobt, scheint hier die Welt noch in Ordnung zu sein. Ein junger Lehrer, Chen Zhen, soll den Hirtenvölkern Lesen, Schreiben und die Segnungen des Kommunismus vermitteln. Doch der junge Stadtmensch aus Peking interessiert sich viel mehr für die Kultur der Mongolen als für seinen Job, er schließt schnell Freundschaft mit ihnen. Am meisten jedoch faszinieren ihn die Wölfe. Als per Dekret von oben die Ausrottung aller Wolfswelpen verordnet wird, gelingt es ihm, ein Junges zu retten und mit der Hand aufzuziehen. Dabei muss er sich nicht nur gegen den Aberglauben der Mongolen behaupten, sondern auch gegen die linientreuen Gefolgsleute des Mao-Regimes. Sie interessieren sich nicht für den natürlichen Kreislauf des Lebens. Stattdessen sorgen sie dafür, dass sich immer mehr Menschen in der kargen Steppe ansiedeln. In ihrem blinden Fortschrittsglauben nehmen sie den überlebenden Wölfen ihre natürlichen Nahrungsquellen und machen aus ihnen eine verzweifelte, ausgehungerte Meute, die immer dichter an die Siedlungen der Menschen heranrückt.
 
Mit seiner spannenden Geschichte vom Menschen und seiner Freundschaft zu einem Wolf schafft Annaud großes Abenteuerkino. Ein bisschen Drama und Liebe gehören dazu, aber vor allem sind es die Wölfe, die den Film prägen – in unvergleichlich schönen Bildern von geradezu mystischer Kraft. Sie spielen die Hauptrolle in diesem Drama, das im Grunde von den Verbrechen des Menschen an der Natur handelt. Chen Zhen (Shaofeng Feng) ist das anfangs naive, neugierige Greenhorn. Die mongolische Steppe scheint ihn magisch anzuziehen, ebenso das einfache Leben der Nomaden und ihre Rituale. Statt Kindern Unterricht zu geben, erkundet Chen Zhen lieber zu Pferde die Landschaft, anstatt die Lehren Maos zu verkünden, hört er den Erzählungen zu, die von fremdartigen Naturgottheiten und vom Mythos der Wölfe erzählen. Im Gegensatz zu vielen seiner Landsleute ist Chen Zhen lernfähig und einsichtig. Bald erkennt er, dass der Mensch dabei ist, die Steppe zu zerstören und damit auch die Lebensgrundlage für die Nomaden und die Tiere. Er allein hat keine Chance. Dennoch versucht er, was er kann. Der Wolfswelpe, den er aufzieht, ist ein Symbol für die Hoffnung auf bessere Zeiten.
 
Annaud hat keinen offensiv politischen Film gedreht, sicherlich auch wegen der Zusammenarbeit mit den chinesischen Koproduzenten. Dennoch ist sein Werk ein sehr direktes und offenes Statement. Das liegt vor allem an der Romanvorlage, die nach autobiographischen Aufzeichnungen entstand und zum größten literarischen Erfolg in China seit der Maobibel wurde. Als Abenteuer- und Liebesgeschichte in einer scheinbar heilen Welt, die langsam, aber sicher vom Menschen vernichtet wird, ist die Story ebenso attraktiv wie als Zeitdokument. Die Zerstörung der Umwelt ist mittlerweile auch in China ein hochaktuelles Thema, und viele der schrecklichen Auswirkungen einer erbarmungslosen Ausbeutung von Ressourcen haben ihre Wurzeln in der so genannten „Kulturrevolution“. Absolut herausragend sind die Naturaufnahmen, vor allem von den Wölfen. Ohne sie zu vermenschlichen, zeigt Annaud ihren Kampf ums Überleben. Ob dafür die 3D-Technik dabei unbedingt notwendig war, bleibt dahingestellt. Die eindringlichen Bilder sind in jedem Fall so beeindruckend, dass sie lange im Gedächtnis haften bleiben.
 
Gaby Sikorski