Der Samurai

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In der Perspektive Deutsches Kino feierte Till Kleinerts „Der Samurai“ seine viel beachtete Premiere, nun kommt einer der interessantesten Debütfilme des Jahres in die Kinos. Auf bemerkenswerte Weise verknüpft Kleinert Motive des Genrekinos mit einer Studie über unterdrückte Sexualität, die in einem ebenso radikalen wie brutalen Finale mündet.

Webseite: www.samurai-film.de

Deutschland 2014
Regie, Buch: Till Kleinert
Darsteller: Michel Diercks, Pit Bukowski, Uwe Preuss, Kaja Blachnik, Ulrike Hanke-Haensch, Christopher Kane
Länge: 79 Minuten
Verleih: Edition Salzgeber
Kinostart: 30. Oktober 2014
 

FILMKRITIK:

Ein Dorf in Brandenburg, klein und piefig, umgeben von dichtem Wald. Hier lebt der junge Polizist Jakob Wolski (Michel Diercks), kümmert sich nach Dienstschluss um seine Großmutter und hält sich ansonsten vom Dorfleben fern. Dass ist geprägt von Machoattitüden und provinziellen Posen, konservativ und allem Fremden gegenüber misstrauisch bis feindselig.

In dieser Welt, die nicht zufällig an Motive der deutschen Romantik, an Märchen der Gebrüder Grimm angelehnt ist, taucht ein Wolf auf, erst ein realer, der nachts sein Unwesen treibt und Mülltonnen plündert, dann ein metaphorischer, der in Gestalt eines athletischen Mannes in einem Frauenkleid (Pit Bukowski) in Jakobs Welt und vor allem seine Psyche eindringt. Ein Paket, das auf der Polizeistation abgegeben wird, führt Jakob zu dem Mann, mit dem er fortan innere und äußere Kämpfe ausfechten wird. Im wahrsten Sinne des Wortes, denn im Paket befindet sich ein Samuraischwert, dass der Samurai offensichtlich zu benutzen weiß.

Anfangs bemüht sich Jakob noch den Samurai mit Worten zur Räson zu bringen, beruhigt seinen Vorgesetzten (Uwe Preuss) und glaubt, die Situation unter Kontrolle zu haben. Doch spätestens nachdem der Samurai eine Gruppe betrunkener, nach Krawall suchender junger Männer enthauptet hat wird deutlich, dass Jakob nichts unter Kontrolle hat: Nicht den Samurai und schon gar nicht seine eigenen, bislang unterdrückten Emotionen.

Mit dem Genrefilm tut sich das deutsche Kino bekanntermaßen ausgesprochen schwer. Da überrascht und freut es umso mehr, wenn ein Regisseur seinen Debütfilm (gleichzeitig Abschlussfilm an der Filmhochschule dffb) zum Anlass nimmt, vielfältige Genremotive zu verknüpfen. Doch auch wenn Till Kleinert sich beim Märchen, beim Thriller, dem Horrorfilm und natürlich dem Schwertkampfilm bedient ist „Der Samurai“ doch vor allem ein Psychodrama, das tief in die deutsche (Kleinstadt)-Seele eintaucht.
Unterschwellig geht es um Homophobie, die Angst vor dem Anderen, unterdrückte Emotionen, das langsame Coming Out eines emotional gehemmten jungen Mannes. Dass sind Themen, wie sie in typischen deutschen Filmen immer wieder behandelt wurden, meist in bedeutungsschweren Geschichten, die ihre hehren Absichten überdeutlich zur Schau stellten. All das ist „Der Samurai“ nicht. Zwar gibt es Momente, in denen der Kontrast zwischen Kleinstadtpiefigkeit und Genremustern etwas zu deutlich betont wird, in denen manche Nabendarsteller etwas zu hölzern agieren. Doch über weite Strecken ist „Der Samurai“ etwas, was das deutsche Kino nur selten ist: Gewagt, ambitioniert und bewusst ambivalent.

Geschickt spielt Kleinert mit den Motiven, deutet Bezüge zu Märchen, zu psychoanalytischen Bildern an, vermischt Elemente unterschiedlicher Genres und lässt dabei etwas ganz eigenes entstehen. Besonders Pit Bukowski in der Rolle des Kleid tragenden Samurais überzeugt dabei mit einer bemerkenswerten Physis und unbändiger Energie. Wucht, Energie und Ambition, die auch Till Kleinerts „Der Samurai“ inne ist, einem der bemerkenswertesten deutschen Regiedebüts der letzten Jahre.
 
Michael Meyns