Der Schatten von Caravaggio

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Seit langem träumte der in Deutschland durch die Serie „Allein gegen die Mafia“ bekannt gewordene italienische Schauspieler und Regisseur Michele Placido davon, einen Film über Caravaggio zu drehen – den großen, umstrittenen, für seine Kunst wie sein wildes Leben berühmte Künstler. Das Ergebnis liegt nun vor und heißt „Der Schatten von Caravaggio“, ein barockes Filmgemälde, wuchtig und schwülstig, und vor allem dem Genie des Künstlers huldigend.

L’ombra di Caravaggio
Italien/ Frankreich 2022
Regie: Michele Placido
Buch: Michele Placido, Sandro Petraglia,Fidel Signorile
Darsteller: Riccardo Scamarcio, Louis Garrel, Isabelle Huppert, Micaele Ramazzotti, Lolita Chammah, Vinicio Marchioni

Länge: 120 Minuten
Verleih: Wild Bunch/ Central
Kinostart: 12. Oktober 2023

FILMKRITIK:

1609. In Rom bekommt ein Mitglied der Inquisition, der nur als Schatten (Louis Garrel) bekannt ist, einen Auftrag: Er soll im Namen des Papstes untersuchen, ob der Maler Caravaggio (Riccardo Scamarcio) begnadigt werden soll. Denn Jahre zuvor hat Caravaggio einen Mann getötet, seinen Rivalen Ranuccio Tomassoni, ob im Streit, durch einen Unfall oder aus Mordlust ist nicht bekannt.

So macht sich der Schatten auf und trifft sich mit Menschen, die Caravaggio im Lauf seines Lebens begegnet sind, die ihn unterstützt und geliebt haben, die ihn und seine Kunst ablehnten, die ihn verehrten und verachteten. Die Marquise Costanza Colonna (Isabelle Huppert) etwa, bei der Caravaggios Eltern arbeiteten, die schon früh das Talent des Knaben erkannte, ihm eine Ausbildung zum Maler ermöglichte und ihn Zeit seines Lebens unterstützte – was auch bedeutete, ihn immer wieder aus dem Gefängnis zu holen.

Denn Caravaggio pflegt fragwürdige Kontakte, liebt den Umgang mit Ganoven und Prostituierten, mit Kranken und Ausgestoßenen, in deren Gesichtern er das wahre Gesicht der Menschen zu erkennen glaubt.

Auch als er zum Liebling der Römer Szene aufsteigt, als hohe Kirchenführer wie der Kardinal Del Monte (Michele Placido) ihm Aufträge verschaffen, ihn Altäre und großflächige Gemälde mit christlichen Motiven malen lassen, bedient sich Caravaggio oft aus der Halbwelt, wenn es um Modelle geht. So wird die Prostituierte Lena (Micaele Ramazzoti) etwa im berühmten Gemälde „Der Tod der Jungfrau“ unsterblich, das heute im Louvre hängt. In der Berliner Gemäldegalerie hängt dagegen „Amor als Sieger“, das einen nackten Jüngling zeigt, mit frechem Grinsen im Gesicht und das Gemächt entblößt. Das Caravaggio wohl nicht nur Frauen zugetan war, sondern auch dem eigenen Geschlecht, macht ihn für die Kirche nicht akzeptabler, doch viel schlimmer wiegt, dass die einfachen Menschen in seinen Bildern eine Wahrheit über das Wesen der Menschheit erfahren, die der kirchlichen und damit vorgeblich einzig wahren Sicht der Dinge entgegenläuft.

Vom ersten Moment an taucht Michele Placido mit Verve ins Leben des Michelangelo Merisi da Caravaggio ein, wie der 1571 geborene Künstler mit vollem Namen heißt. Reich ausgestattet, im Spiel mit Licht und Schatten die Gemälde des Subjekts nachahmend, mit großer Lust an Fleisch, Körpersäften und Exzess. Dass er dabei aus Sicht eines Dritten erzählt, ermöglicht es Placido und seinen Drehbuchautoren lose Episoden aus dem Leben Caravaggio aneinanderzureihen, die sich nach und nach zu einem Bild des Künstlers formen, vor allem aber die Frage beantworten, warum er bei der Kirche gleichermaßen beliebt und umstritten war.

„Jesus war ein Mensch, Maria war ein Mensch, der Papst ist ein Mensch“ so spricht Caravaggio einmal zu seinem Schatten, der über das Subjekt seiner Nachforschung wiederum sagt: „Talent gepaart mit Perversion.“ Wie viel dieses Bildes der Wahrheit entspricht, wie viel Legenden und Mythen sind, die sich seit dem frühen Tod Caravaggios gebildet haben sei dahingestellt. Ob Caravaggio im Gefängnis tatsächlich dem Häretiker Giordano Bruno begegnete? Stand ihm die junge Malerin Artemisia Gentileschi wirklich so nah, wie hier geschildert? So oder so: Am Ende von „Im Schatten des Caravaggio“ fühlt man sich dem Maler und Menschen näher, hat einen ein wenig oberflächlichen, aber bunten und mitreißenden Einblick in das Leben um 1600 bekommen und vor allem Lust, sich intensiver mit einer der schillerndsten Figuren der Kunstgeschichte zu beschäftigen.

 

Michael Meyns