Der weiße Rabe – Max Mannheimer

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Die freundschaftliche Verbindung zwischen Regisseurin und Titelfigur sorgte für ein nahes und freimütiges Porträt einer außergewöhnlichen Persönlichkeit. Carolin Ottos Dokumentation über den 89-jährigen Zeitzeugen, KZ-Überlebenden und Maler Max Mannheimer erhielt von der Deutschen Film- und Medienbewertung das Prädikat „Besonders Wertvoll“.

Webseite: www.derweisserabe.de

D 2009
Regie + Buch: Carolin Otto
Mit: Max Mannheimer, Edgar Mannheimer, Schwester Elija Bossler, Eva Faessler, Ota Filip
82 Min.
Verleih: barnsteiner-film
Start: 10.12.2009
 

PRESSESTIMMEN:

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FILMKRITIK:

Der alte Herr mit der weiß lodernden Künstlermähne und der prägnanten Nase steuert auf zwei Inder zu und stellt sich freundlich vor: „Ich war hier ein Gefangener. Insgesamt verbrachte ich 27 Monate in Konzentrationslagern und habe sechs Verwandte verloren.“ Der Mann unter dem Sikh-Turban nickt stumm. So viel Geschichte überwältigt. Dann erzählt er dankbar von den eigenen Verwandten daheim. Max Mannheimer hat dem hilflosen Herumstehen in der Gedenkstätte Dachau ein abruptes Ende bereitet. Er geht offensiv auf die Leute los und strukturiert deren Tag.

Der Herr im schwarzen Anzug nennt sich „der weiße Rabe“. In der russischen Sprache werden so Außenseiter bezeichnet, entsprechend unserem „schwarzen Schaf“. Mannheimer sagt freimütig: „Ich wollte immer im Vordergrund stehen.“ Selbstironisch kritisiert er seine abstrakte Malerei, der er sich seit 50 Jahren unter dem Namen Ben Jakov widmet. Zwischendurch erzählt er seinem Freund, dem Schriftsteller Ota Filip Witze. Auf seine Tochter wirkte er früher wie ein großer Bruder, „er machte so viel Blödsinn“.

Die Dokumentation springt hin und her, den Gedanken und Stimmungen Mannheimers folgend. Mannheimer überlebte zwischen 1943 und 1945 die Konzentrationslager Theresienstadt, Auschwitz, Dachau und das Warschauer Ghetto. Nach dem Krieg heiratete er eine Deutsche, eine „Heldin“, die schon während der Hitlerzeit für die Sozialdemokratie kämpfte und nach deren Tod eine Amerikanerin. In den USA überwältigten ihn die Erinnerungen, er musste zwei Wochen in die Psychiatrie. Aufnahmen von 1991 zeigen ihn in Auschwitz. Hier erzählt er nüchtern von den Selektionen, vom Überleben in den Baracken, in einer Schusterei, davon, unter den grausamen Bedingungen niemals schwach wirken zu dürfen. Und wie ihm sein Bruder Edgar geholfen hat: „Ich war deprimierter, egoistischer. Edgar hat mir zweimal das Leben gerettet.“

Regisseurin Carolin Otto hatte Max Mannheimer zufällig vor 20 Jahren auf einem Parkplatz in Dachau getroffen. Es war der Beginn einer Freundschaft. Dies ist ihr dritter Film über ihn. Sie begleitete ihn im vergangenen Jahr bei Vorträgen in Schulen, bei Gesprächen, bei den Besuchen der Gedenkstätten und zeigt eine Persönlichkeit voller Zuversicht, Humor und Selbstehrlichkeit, kein Opfer. Nur einmal wartet die Kamera gierig und zu lange auf einen Gefühlsausbruch. In den letzten Jahren hat Mannheimer für seinen Einsatz gegen das Vergessen viele Auszeichnungen erhalten, unter anderem das Bundesverdienstkreuz und die Ehrendoktorwürde der Ludwig-Maximilian-Universität.

Max Mannheimer bedauert sein scharfes Gedächtnis: „Glücklich sind die, die vergessen können.“ Mit der Familie konnte er nicht über seine furchtbaren Erlebnisse sprechen. „Es ging überhaupt nicht. Die Kinder fragen nicht, erst die Enkel fragen.“ Selten wurde der Konflikt zwischen der Angst vor Erinnerungen und der Verantwortung, diese mitzuteilen so spürbar wie in diesem intensiven Porträt.

Dorothee Tackmann