Eine Komödie mit Doppelsinn, Tiefsinn und einer hübschen, kleinen Portion Irrsinn: Der französische Schauspiel- und Regiestar Julie Delpy präsentiert eine bissige Culture-Clash-Provinzkomödie über eine Dorfgemeinschaft, die stolz ist auf ihren Zusammenhalt und auf ihr Engagement für Flüchtlinge, sich aber bald mit der Frage konfrontiert sieht, wie es tatsächlich um ihre Nächstenliebe und Toleranz bestellt ist.
Über den Film
Originaltitel
Les barbares
Deutscher Titel
Die Barbaren – Willkommen in der Bretagne
Produktionsland
Frankreich
Filmdauer
103 min
Produktionsjahr
2024
Produzent
Michael Gentile
Regisseur
Julie Delpy
Verleih
Weltkino Filmverleih GmbH
Starttermin
26.06.2025
Das Dorf Paimpont in der Bretagne … zwar klein, aber durchaus fortschrittlich, zumindest wenn es nach dem jungen und elastischen Bürgermeister Sébastien (Jean-Charles Clichet) geht. Er tut praktisch alles, um positive Schlagzeilen und Berichte über Paimpont zu lancieren und lässt gerade einen Imagefilm über Paimpont drehen. Das ist auch bitter nötig, denn – man muss es leider sagen – hier oben im Norden Frankreichs sagen sich nicht mal mehr Fuchs und Hase gute Nacht. Hier ist überhaupt nichts los, die Bevölkerungszahl geht immer weiter zurück, und deshalb will Sébastien gegensteuern. An seiner Seite hat er die progressive Lehrerin Julie, gespielt von Julie Delpy selbst. Sie setzt sich dafür ein, dass Paimpont ukrainische Flüchtlinge aufnimmt, und tatsächlich hat sich der komplette Gemeinderat dafür ausgesprochen, sogar der Nationalist Hervé (Laurent Lafitte). Am Tag, als sich alle auf die Begrüßung „ihrer“ Flüchtlinge vorbereiten, gibt es ein Problem: Es sind keine ukrainischen Flüchtlinge mehr übrig, alle vergeben. Zu groß war die Welle der Hilfsbereitschaft. Da wäre allerdings noch eine syrische Flüchtlingsfamilie …
So stellt sich für die Dorfgemeinschaft die Frage, ob muslimische Flüchtlinge besser sind als gar keine, um die Flamme der Demokratie und das Licht der Toleranz glühen zu lassen. „Freiheit – Gleichheit – Brüderlichkeit“ – die Werte der französischen Revolution sind selbstverständlich für alle verbindlich, oder besser gesagt: eigentlich … aber gelten sie auch für geflüchtete Muslime?
Julie Delpy zeigt zu Beginn Paimpont als Bilderbuchausgabe eines Provinznests, das auch aus einer modernen Asterix-Verfilmung stammen könnte. Die Bevölkerung ist auf den ersten Blick eine Ansammlung von Mensch gewordenen Karikaturen und Klischees: der vertrottelte Polizist, der aufmerksamkeitsgierige Bürgermeister, die besserwisserische und hyperaktive Lehrerin, ihre saufende beste Freundin, der Dorfnazi und ein in Ehren ergrauter Althippie-Biobauer – zusammen bilden sie eine große Runde origineller Typen, die durchaus plakativ wirken, aber ähnlich wie in den berühmten Comics eher liebevoll überzeichnet. Da gibt es zunächst einmal nichts Boshaftes oder Feindseliges, das sind lauter sympathische Verrückte. Doch dann wird es richtig interessant, denn in dieser Runde wirkt die Familie Fayad aus Syrien beinahe am normalsten. Sie haben weder etwas mit den Dorfintrigen noch mit den mehr oder weniger geheimen Liebschaften oder den alltäglichen Problemen hier zu schaffen, sondern sie haben genug mit ihrem eigenen Schicksal zu tun. Julie Delpy gelingt hier das Kunststück, ihre Komödie in eine unerwartete Richtung zu entwickeln, und zwar mit immer mehr Ernsthaftigkeit, ohne dass dabei der liebenswerte Humor und die Leichtigkeit des Anfangs verloren gehen. Dabei verlassen sich Julie Delpy und ihre Ko-Autoren nicht einfach nur auf bewährte Mechanismen, um Lacher zu provozieren, sondern sie scheuen weder die Provokation noch die Konfrontation.
So zeigt der Film mit entlarvend bissiger Ironie das Dörfchen als eigentlich gar nicht so sympathischen Ort, wo die Gerüchteküche stärker blüht als die Blumen in den Vorgärten. Hier sind Rassismus, Nationalismus und Vorurteile besonders verbreitet, wie sich bald zeigt, und diese Mischung ist brisant. Doch so wie die Flüchtlingsfamilie nicht eindimensional gut und edel ist, wird auch die Dorfbevölkerung nicht einseitig negativ dargestellt, stattdessen gelingt es Julie Delpy, die Zustände in Paimpont zwar dramatisch zu entwickeln, aber dennoch mit einem sehr liebenswürdigen und intelligenten Humor zu unterfüttern. Die manchmal unerwarteten Übergänge zwischen freundlichem Witz und tragischem Ernst hätten vielleicht etwas eleganter ausfallen können, aber sie geben der Komödie in ihrer erfrischenden Raubauzigkeit tatsächlich etwas Realistisches – hier bricht immer wieder das wahre Leben in die harmonische Friede-Freude-Omelette-Atmosphäre ein, nach der sich die Lehrerin Julie so sehr sehnt. Julie Delpy spielt sie mit viel Energie und komischer Dynamik als ständig überforderte, aber waaahnsinnig engagierte Idealistin mit Wirbelwind-Syndrom. Sandrine Kiberlain als ihre beste Freundin und zutiefst unglückliche Trinkerin hat eigentlich die interessantere Rolle – ihr Charakter gewinnt immer mehr an Tiefe, und Sandrine Kiberlain spielt das mit einem sehr lässigen Charme. Julie hingegen bleibt die stets angespannte Optimistin, die in allem das Gute sieht und von allen das Beste erwartet. Aber irgendwann muss auch sie sich angesichts der Entwicklung in ihrem Dorf selbst die peinliche Frage stellen: Wer sind hier eigentlich die Barbaren? Am Ende werden es, und auch das ist in gewisser Weise realistisch, die Frauen sein, die ihre Vorurteile und Differenzen überwinden und die Situation retten.
Gaby Sikorski