Die Blumen von gestern

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Ziemlich fies, ein bisschen durchgeknallt und sehr kurzweilig: Das sind die herausragendsten Attribute einer wirklich nur beinahe romantischen Komödie um zwei Soziopathen, die sich untereinander aufs Feinste befehden. Adèle Haenel und Lars Eidinger spielen die beiden Chefneurotiker Zazie und Totila, deren persönliches Unglück in der Familiengeschichte liegt. Chris Kraus hat eine herrlich respektlose, aber niemals denunzierende Farce über die Spätfolgen des Holocausts geschrieben. Dabei bleibt die fantasievolle Story trotz hoher Slapstickdichte seriös und wird zu einer wenig barmherzigen, aber dafür warmherzigen Lehrstunde in Sachen (Schwarz-)Humor, der bekanntlich heilsame Wirkung haben kann.

Webseite: die-blumen-von-gestern.de

Deutschland 2016
Regie und Buch: Chris Kraus
Kamera: Sonja Rom
Darsteller: Lars Eidinger, Adèle Haenel, Jan Josef Liefers, Hannah Herzsprung, Sigrid Marquardt, Bibiana Zeller, Rolf Hoppe
Länge: 120 Minuten
Verleih: Piffl Medien
Kinostart: 12. Januar 2017

FILMKRITIK:

Totila Blumen ist Holocaust-Forscher und entspricht voll und ganz dem Klischee eines Wissenschaftlers, der sein Leben einem Thema gewidmet hat, das von Tragik und Elend handelt. Er ist humorlos bis zur Verkniffenheit, hoch neurotisch und ein emotionales Notstandsgebiet, wozu auch seine Ehe mit Hannah beiträgt. Und gerade hat es Totila mal wieder voll erwischt: Ein ungeliebter Kollege, der ölige Balthasar „Balti“ Thomas wird unerwartet sein Vorgesetzter, und dann setzt man ihm auch noch eine französische Praktikantin vor die Nase, die so ungefähr alles verkörpert, was Totila hasst: Schon in den ersten Minuten entpuppt sie sich als Ganztagshysterikerin – ein Unglück, auf dem Weg, wo es geschehen könnte. Außerdem ist sie Baltis Geliebte, aber das weiß Totila noch nicht. Er hat nämlich alle Hände voll damit zu tun, einen Holocaust-Kongress zu organisieren.
 
Das also ist die Ausgangssituation. Chris Kraus hetzt Totila und Zazie aufeinander, dass es nur so scheppert. Hier treffen sich Screwball und Slapstick, und zwar interessanterweise vor dem Hintergrund der Holocaust-Forschung. Dabei wird immer offensichtlicher, dass beide, sowohl Totila als auch Zazie, nicht nur ein wissenschaftliches Interesse verfolgen, sondern dass sie ihren Beruf aufgrund ihrer Familiengeschichte gewählt haben. Sie sind als Nachkommen von Opfern und Tätern gezeichnet durch die Wunden der Vergangenheit. Was Chris Kraus wagt, ist bemerkenswert und mutig: Er greift sich eine tabubeladene Story, die nach Tragik, Schmerz und Düsternis schreit, und macht daraus eine irrwitzige Komödie, die sich durchaus mit „Frühling für Hitler“ nebst Musicalverfilmung und „Sein oder Nichtsein“ und natürlich auch mit „Schtonk“ vergleichen lässt. Das gilt nicht nur für die Gagdichte, sondern vor allem für den respektlosen und dennoch liebevollen Umgang mit Menschen, so wie es sich für eine gute Satire gehört. Chris Kraus zeichnet schonungslos originelle Charaktere, die in sich und im Zusammenspiel miteinander geradezu atemberaubend realitätsnah sind und gerade deshalb sehr komisch: Lars Eidinger spielt den misanthropischen Choleriker Totila und – bravo! – das macht er ganz wunderbar: ein Ganztagsmuffel mit schwerer Bild- und Tonstörung, aber irgendwie ganz goldig. Wenn dann ein Hauch von Lebensfreude aufflackert, beginnt er beinahe von innen zu leuchten. Adèle Haenel, die vielseitig talentierte Französin mit dem liebenswert natürlichen Lächeln, macht aus Zazie zu Beginn ein großes Kind mit der Aufmerksamkeitsspanne eines Knallfroschs. Sie ist gleichzeitig nervig und nervös, und wenn sie nicht gerade redet, was sie meistens tut, macht sie irgendwas kaputt. Jan Josef Liefers als Totilas Chef verbreitet den öligen Charme eines Opportunisten: Zwangsarbeit hin, Zwangsarbeit her – wenn Mercedes die Häppchen für den Kongress sponsert, kann man ja ein bisschen Entgegenkommen zeigen, oder? Und Hannah Herzsprung ist die ergreifend unpathetische, verzweifelte Ehefrau des Neurotikers Totila.
 
Chris Kraus hat sich für eine knallige Komödie über die Folgen des Holocaust entschieden, über die Nachkommen der Täter und der Opfer, die immer noch an der Krankheit Deutschland leiden. Vielleicht tat er das aus demselben Grund, warum gute Ärzte lieber übers Gesundwerden sprechen als übers Sterben. Dabei macht Chris Kraus vor nichts Halt, er zeigt den Medienrummel und die Kommerzialisierung um die deutsche Geschichte, aber auch eine zickige Auschwitz-Überlebende – die Burgschauspielerin Sigrid Marquardt in ihrer letzten Rolle – ebenso wie den Kampf der wenigen Aufrechten um das ungeliebte Erbe, und er drückt dabei ziemlich fest und bohrend auf halb offene Wunden. Als Katalysator dient ihm sein geradezu irrwitziger Humor mit manchmal atemstockender Situationskomik und beeindruckend ausgetüftelten Dialogen.
 
Vielleicht können die Wunden der Vergangenheit irgendwann geheilt werden? Und vielleicht hilft es ja, die Thematik etwas weniger verbissen zu betrachten. Humor kann sehr gesundheitsfördernd sein, auch für den Geist – und das gilt umso mehr für diesen Film, der sehr viel Spaß macht, wunderbar kurzweilig ist und trotzdem von Minute zu Minute ernsthafter wird. Kurz und gut: Unterhaltung vom Feinsten auf hohem Niveau!
 
Gaby Sikorski