Die Farbe der sehnsucht

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Ein diffuses Gefühl wie Sehnsucht filmisch einfangen? An diese keinesfalls leichte Aufgabe wagte sich Dokumentarfilmer Thomas Riedelsheimer („Rivers and Tides“). In acht Episoden – von Mexiko bis nach Japan – ging er der Frage nach, was unser Menschsein auszeichnet. So entstand am Ende ein globales Mosaik aus ganz unterschiedlichen Stimmungen, Wünschen und Ängsten. Eine nachdenkliche und zugleich bildstarke Weltreise, die zwischen Lebensfreude, Tragik und Zuversicht schwankt.

Webseite: www.piffl-medien.de

Die Farbe der Sehnsucht
D 2016
Regie & Kamera: Thomas Riedelsheimer
Laufzeit: 92 Minuten
Verleih: Piffl
Kinostart: 1.6.2017

FILMKRITIK:

„Zuhause ist dort, wo man los läuft.“ Schon einer der ersten Sätze deutet an, dass Dokumentarfilmer Thomas Riedelsheimer in „Die Farbe der Sehnsucht“ eine Reise unternimmt, die zwischen Heimat und Träumen, zwischen Hoffnung und Verzweiflung oszilliert und dabei die Conditio humana zu erkunden versucht. Zu Wort kommen bei dieser globalen Sinnsuche von Mexiko über Deutschland bis nach Japan ganz normale Menschen und ihre sehr persönlichen Geschichten. In Mexiko trifft Riedelsheimer auf Alfredo, einen kubanischen Meeresforscher und Kameramann. Seine Sehnsucht zieht ihn aber nicht nur wie zu vermuten in die Tiefen des Meeres sondern auch zu seiner neuen Partnerin, mit der am liebsten 72 Stunden am Tag zusammen sein möchte. Im vermeintlichen Wüstenparadies Katar lernen wir Layla kennen, die ihre Fantasien als muslimische Frau nur literarisch ausleben kann. Und selbst das ist alles andere als ungefährlich. Schließlich blickt der Film nach Japan, wo in zwei sehr gegensätzlichen Episoden eine andere Seite jenes High-Tech-Landes zum Vorschein kommt. So versucht ein pensionierter Polizist, Selbstmörder vom Sprung über die steilen Klippen nahe Tojinbo abzuhalten. Und in der Millionenstadt Osaka betreibt eine couragierte Frau ein Café für Obdachlose, in dem Zuspruch und Anteilnahme auf sie warten.
 
Auch wenn die Menschen, die uns Riedelsheimer vorstellt, kaum unterschiedlicher sein könnten, so scheinen alle mit ihren Gedanken zumeist an einem anderen Ort zu sein. Das verbindet sie. Layla träumt von einem Leben außerhalb der von der Gesellschaft auferlegten Fesseln, die Klippenspringer von Tojinbo wollen für immer unserer Welt den Rücken kehren. Nachdenklich, melancholisch, gelegentlich aber auch unerwartet heiter und lebensbejahend fällt Riedelsheimers Weltreise aus. Sein Blick ist der eines stillen Beobachters, dem seine Gesprächspartner ihre tiefsten Sehnsüchte, Ängste und Hoffnungen anvertrauen. Ihnen dabei zuzusehen, wie sie der Kamera und damit auch uns hiervon berichten, löst unweigerlich einen Prozess der (Selbst-)Reflexion aus. Insofern funktioniert „Die Farbe der Sehnsucht“ wie ein filmischer Spiegel, der sein Publikum leise und unaufdringlich miteinbezieht.
 
Eine andere Qualität liegt in der Anordnung und Komposition der Geschichten. Riedelsheimer verknüpft diese zu einem nicht zuletzt filmisch interessanten Mosaik. Manchmal fühlt man sich angesichts der verschiedenen Orte, Sprachen und Kulturen an eine Realversion von „Babel“ erinnert. Der gelernte Kameramann weiß um die Wirkung der Bilder und so ist die Verpackung in diesem Fall kaum weniger durchdacht als das Arrangement der Episoden, die elegant miteinander verschmelzen. Wie sich Sehnsucht für Riedelsheimers Gegenüber jeweils anfühlt und was sich dahinter verbirgt, das vermittelt der Film auch in ausdrucksstarken Aufnahmen von Orten, Landschaften und natürlich den Menschen, die er portraitiert. Obwohl das bereits im Titel der Doku angedeutete Farbenspiel eher subtil umgesetzt wurde, dürfte man mit den einzelnen Geschichten doch ganz bestimmte Bilder und Stimmungen verbinden. Am Ende stehen nicht bloß eine sondern viele unterschiedliche Farben. Die Sehnsucht ist – so lernen wir – mindestens so bunt wie das Leben.
 
Marcus Wessel