Die Frau im Mond – Erinnerung an die Liebe

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In ihrem Dorf gilt sie als verrückt, die Eltern glauben sie gebändigt, als sie ihre Tochter dem auf ihrem Hof in der Provence als Erntehelfer arbeitenden spanischen Exilanten José zur Frau geben. Doch in Gabrielle lodert ein Feuer, das eines Tages wie aus heiterem Himmel wieder ausbricht. Nicole Garcia hat den Roman „Die Frau im Mond“ von Milena Agus frei adaptiert und aus der sardischen in die französische und schweizerische Landschaft verpflanzt. Marion Cotillard begeistert in dem für acht Césars nominierten Drama als eine von unerfüllten Leidenschaften und Sehnsüchten erdrückte Frau.

Webseite: www.studiocanal.de/kino/die_frau_im_mond

OT: Mal de Pierres
Frankreich 2016
Regie: Nicole Garcia
Darsteller: Marion Cotillard, Louis Garrel, Alex Brendemühl, Brigitte Roüan, Victoire Du Bois, Aloïse Sauvage, Daniel Para, Jihwan Kim, Victor Quilichini
116 Minuten
Verleih: Studiocanal
Kinostart: 24.3.2016

FILMKRITIK:

Ein Peugeot 404 fährt durch die Provinz, sein Ziel ist Lyon. Im Auto sitzen ein Mann, seine Frau und ihr Sohn, der zum Vorspiel bei einem Klavierwettbewerb eingeladen ist. Als es in den Altstadtgassen der Rhonestadt wegen eines den Weg blockierenden Lieferwagens nicht weitergeht, entdeckt die Frau ein Straßenschild, das offenbar Erinnerungen weckt. Welche, das fächert Nicole Garcias Drama nun auf.
 
Zunächst freilich wird noch kurz umrissen, wer die Frau und der Mann in dieser in den 1950er und 60er Jahren spielenden Geschichte eigentlich sind. Gabrielles Erinnerungsrückblende vorangestellt ist also noch ein Blick zurück in ihre Jugend, als sie sich in einen verheirateten Lehrer verliebt hat und seine Ermunterung, Emily Brontës „Stürmische Höhen“ zu lesen, als Beweis auch seiner Liebe missdeutete. Auf einem Dorffest macht sie ihm Avancen und sich zum Gespött, die Eltern drohen mit der Einweisung in eine Anstalt. Letztlich bewahrt sie aber die Heirat mit dem aus dem spanischen Exil stammenden Arbeiter José vor diesem Schicksal. Als ein Arzt bei ihr die „Steinkrankheit“ diagnostiziert, reist sie zur Kur in die Schweizer Alpen – und lernt dort einen verletzt und krank aus dem Indochina-Krieg zurückgekehrten Soldaten kennen. Und wieder ist es ein Buch („Die Pflicht, glücklich zu sein“), welches Sehnsüchte in ihr weckt.
 
Marion Cotillard war für Regisseurin Nicole Garcia die Idealbesetzung für die Rolle der Gabrielle. Um mit ihr drehen zu können, hat sie gewartet, bis die Oscar-Preisträgerin („La vie en rose“) ihre Übersee-Filmprojekte wie „Alied: Vertraute Fremde“ an der Seite von Brad Pitt, „Assassin’s Creed“ mit Michael Fassbender und Jeremy Irons und „Einfach das Ende der Welt“ von Xavier Dolan abgedreht hatte. Ihre Gabrielle ist eine Frau, die ihren Schmerz in sich hineinfrisst, die sich nach außen verschließt und unnahbar bleibt – so entrückt und verschleiert wie der Mond am Himmel. Cotillard zeigt, dass sie mit dieser Situation einer unangepassten, ihren eigenen Weg gehenden und sich in ihre eigene Welt zurückziehenden Frau umzugehen weiß. Auch über die Musik – insbesondere einem Klavierstück aus Tschaikowskys Jahreszeitenzyklus – lässt sich ihr Seelenzustand gut beschreiben.
 
Ihr Mann, zurückhaltend gespielt vom Deutsch-Spanier Alex Brendemühl, akzeptiert diese Verschlossenheit. Nur ein einziges Mal kann er sich nicht beherrschen und fährt aus seiner Haut. Ansonsten bleibt dieses farbentsättigte Melodram sachlich und kühl, lebt vom Kampf der Figuren und ihrem eher schweigsamen Ringen ihrer zwischen Liebe und Vernunft schwankenden Überlegungen – und ist gerade deshalb umso berührender, weil es damit das Dilemma der in sich und an sich leidenden Figuren so treffend beschreibt.
 
Letztlich ist auch Louis Garrell, der verwundete und sterbenskranke Kriegsheimkehrer eine solche Figur. Aus ihm spricht die Vernunft, er weiß um sein unabänderliches Schicksal. „Ich sterbe geheilt“, sagt er im Schweizer Sanatorium zu Gabrielle. Bis zu ihrer Heilung ist es noch ein weiter Weg, für sie gibt es noch Hoffnung. Es ist nur eine Frage des Begreifens von Wahrheiten.
 
Thomas Volkmann