Die Geschichte einer Familie

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Die Unfähigkeit, vernünftig miteinander zu sprechen, Schmerz, Tod, Streit und die Frage nach der Schuld: Das deutsche Drama „Die Geschichte einer Familie“ handelt von einer Familie, die nach Jahren der Verdrängung und des Schweigens mit den Dämonen der Vergangenheit konfrontiert wird. Heraus kommt ein Film, der nicht frei von (Drehbuch-) Schwächen ist, der aber auch die Kraft hochemotionaler, sensibler und authentischer Schauspielkunst vergegenwärtigt. Kein einfacher Film, aber ein erschütternder und zutiefst bewegender.

Deutschland 2022
Regie: Karsten Dahlem
Buch: Karsten Dahlem
Darsteller: Anna-Maria Mühe, Michael Wittenborn,
Therese Hämer

Länge: 87 Minuten
Verleih: Filmwelt
Kinostart: 15. Juni 2023

FILMKRITIK:

Jahrelang war Chrissi (Anna-Maria Mühe) im Ausland erfolgreiche Stuntfahrerin. Nach einem schweren Unfall, der Chrissi an den Rollstuhl fesselt, kehrt sie zurück in ihr Heimatdorf. Der Ort ihrer Kindheit und Jugend, den sie einst, nach einem tragischen Autounfall, verließ. Vor Ort wird sie von den Erinnerungen der Vergangenheit eingeholt. Hinzu kommt das angespannte Verhältnis zu ihrem Vater Werner (Michael Wittenborn), der seit Jahren unter Depressionen und schwerer Alkoholsucht leidet. Wie soll er sich um seine querschnittgelähmte Tochter kümmern, wenn er sich noch nicht einmal um sich selber kümmern kann? Als unerwartet schließlich Chrissis Mutter auftaucht, steht die Beziehung zwischen ihr und Werner endgültig vor der Zerreißprobe.

Komplexe Familienverhältnisse, innerfamiliäre Zerwürfnisse, Schweigen, Verlust und Verdrängung – das sind die Leitthemen dieses intensiven Dramas von Karsten Dahlem. Dahlem, der seit den 2000ern erfolgreich als Schauspieler arbeitet und hier sein Debüt als Filmemacher vorlegt, wendet viel Zeit für das schrittweise Offenlegen der ursprünglichen Katastrophe auf. Denn so tragisch die Querschnittlähmung von Chrissi ist: Die eigentliche Ursache für die gewaltigen familiären Konflikte liegen in einem jahrelang zurückliegenden Autounfall in der Nähe des Heimatortes begründet, in den noch ein weiteres Familienmitglied verwickelt war.

Mit der Rückkehr von Chrissi ins elterliche Wohnhaus, kehren all die – verdrängten – Erinnerungen an das entsetzliche, traumatische Ereignis zurück. In klug eingestreuten Rückblenden erhält der Kinobesucher Einblicke in glückliche vergangene Zeiten. Der virtuose Schnitt und die Parallelisierung von Vergangenheit und Gegenwart gehören zu den großen Stärken des Films. Sie offenbaren, wie schnell sich das Leben, von jetzt auf gleich, ändern und alles in sich zusammenbrechen kann. Darüber fallen die Darsteller-Leistungen ins Auge. Es handelt sich bei „Die Geschichte einer Familie“ gewissermaßen um ein Zwei-Personen-Stück, zu weiten Teilen angesiedelt im Wohnhaus der Familie. Ein Großteil der Szenen spielt demzufolge im Inneren, wodurch sich durch die Kammerspiel-artige Atmosphäre ohnehin ein Gefühl von Anspannung und Beklemmung einstellt.

Die mit roher und glaubhafter Präsenz aufspielenden Anna-Maria Mühe und Michael Wittenborn verleihen ihren Figuren eine fast unerträgliche psychologische Tiefe. Die rückhaltlose Intensität ihres Spiels verdeutlich unmissverständlich: Hier treffen zwei kranke, von Kummer und Selbstgeißelung geplagte Seelen aufeinander, deren emotionale Instabilität dazu führt, dass, gerade zu Beginn, eine normale Kommunikation und ein faires, vernünftiges zwischenmenschliches Miteinander kaum möglich scheinen.

Einige Schwächen lassen sich in der Geschichte sowie beim Drehbuch ausmachen. Nicht nur, dass einige Situationen zu forciert und durchsichtig wirken – auch ein paar Handlungsverläufe und Verhaltensweisen der Figuren erscheinen unglaubwürdig und bemüht. Zu gewollt und kalkuliert also, nur um dieser Familiengeschichte noch mehr Tragik und Schicksalhaftes zu verleihen. Es sticht eine fragwürdige, wenig plausible Szene heraus, die sich unmittelbar an den damaligen Autounfall anschließt – und die etliche negativen Folgen und Nachwirkungen mit sich bringt.

Dazu gesellen sich konstruierte Zufälle (etwa wenn Chrissi einem alten Freund über den Weg läuft, der ebenfalls im Unfallwagen saß) und ein sich allzu oft in den Mittelpunkt drängender, aufdringlicher Soundtrack. Die meist sehr beseelten, übersentimentalen Klänge hätte es in dieser Häufigkeit, Intensität (und Lautstärke) gar nicht gebraucht. Denn die Geschehnisse auf der Leinwand sind emotional und mitreißend genug. Und das, was dieser Familie wiederfährt, ist verhängnisvoll und zutiefst ergreifend. Und: wie jedes Familienmitglied ganz unterschiedlich sowie auf individuelle Weise damit umgeht.

Björn Schneider