Die Liebhaberin

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In der sehenswerten, großartig gespielten Gesellschafts-Satire „Die Liebhaberin“ geht es um einen radikalen Clash der Kulturen in einem Vorort von Buenos Aires. Dort liegt eine wohlhabende, von steifen Konservativen bewohnte Gegend. Direkt daneben und nur von einer Mauer getrennt: ein Nudistencamp. Eine Nachbarschaft der Gegensätze. Und mittendrin ein Hausmädchen, das zwischen beiden Welten steht. Der Film lebt von seiner herausragenden Hauptdarstellerin, die es allein mit ihrer Physis schafft, Stimmungen zu vermitteln. Und die Macher beweisen Mut, da sie ihrem sanftmütig und ruhig inszenierten Film, ein unerwartetes, kompromissloses Ende entgegensetzen.

Webseite: www.dieliebhaberin.de

Argentinien, Österreich, Südkorea 2016
Regie: Lukas Valenta Rinner
Drehbuch: Lukas Valenta Rinner, Ana Godoy, Martin Shanly, Ariel Gurevich
Darsteller: Iride Mockert, Andrea Strenitz, Pablo Seijo, Mariano Sayavedra, Andrea Strenitz
Länge: 100 Minuten
Verleih: Grandfilm
Kinostart: 09. November 2017

FILMKRITIK:

Belén (Iride Mockert) stammt aus armen Verhältnissen und ist froh, als sie den Job als Hausmädchen bei einer reichen Familie nahe Buenos Aires, ergattert. Entsprechend überwältigt ist sie von der Größe des Anwesens, in dem Hausherrin Diana (Andrea Strenitz) residiert. Hohe Mauern schützen das Areal, hinter dem ein dschungelähnliches Gebiet liegt. Eines Tages entdeckt Belén, wieso die Mauern so hoch sind: im Wald liegt ein Nudistencamp, von dem sich die junge Frau schon bald magisch angezogen fühlt. Immer öfter besucht sie die Nudisten in der Nachbarschaft, bis man sie als vollwertiges Mitglied im Camp aufnimmt. Beléne erlebt dort sexuelle Freiheit und Harmonie. Doch der Clash der unterschiedlichen Ansichten im Vorort, erzeugt auch Spannungen und Unmut.

Mit dem Sci-Fi-Drama „Parabellum“ feierte der österreichische Filmemacher Lukas Valenta Rinner 2015 ein viel beachtetes Debüt. „Die Liebhaberin“ ist der zweite Spielfilm des Salzburgers. Gedreht wurde an Originalschauplätzen der argentinischen Hauptstadt. Die Hauptdarstellerin des Films, Iride Mockert, war bisher vor allem in Kurzfilmen und TV-Serien zu sehen.  „Die Liebhaberin“ wurde im letzten Jahr auf dem Jeonju International Filmfest in Südkorea uraufgeführt.  Beim diesjährigen Diagonale-Filmfestival in Graz, gewann wurde die Produktion als bester österreichischer Spielfilm ausgezeichnet.

Die mit reichlich lakonischem Witz garnierte Groteske, lebt ganz vom zarten, zurückgenommenen Spiel der Hauptdarstellerin. Iride Mockert kommt vom Theater und ihre emotionale, intensive Darstellung ist eine der großen Stärken des Films. Und nicht zuletzt die Wandlung, die ihre Figur vollzieht: denn aus der schüchternen, fast ängstlichen Hausangestellten wird allmählich eine selbst bestimmte Frau, die immer sicherer und lebenslustiger wird, je mehr Zeit sie bei den Nudisten verbringt.

Diese Metamorphose spiegelt sich auch in Mockerts physischem Spiel wider.  In der ersten Filmhälfte erscheint sie mit gebückter Haltung und herunterhängenden Schultern oft als die devote Bedienstete. Doch je selbstbewusster sie wird und je freier sie leben kann, desto stolzer und aufrechter wird ihre Körperhaltung.

Regisseur Rinner lässt seine Protagonisten insgesamt nicht sonderlich viel kommunizieren. Der Großteil der Kommunikation erfolgt in „Die Liebhaberin“ über das Nonverbale, über Blicke und Gestiken. Und: über das Körperliche. Denn Nacktheit, Körperlichkeit und Körperkontakt sind Dinge, die von den Nudisten bis zum Äußersten ausgereizt und gelebt werden. Im Film äußert sich das u.a. durch sexuelle Orgien im Freien sowie kollektives Gruppenkuscheln auf der saftig grünen Wiese.

Dazwischen genießen die Nackten ein Sonnenbad, liegen schweigend am Pool oder verkleiden sich als Urwaldtiere – eine der skurrilsten Szenen des Films. Viel mehr machen sie nicht. Als Belén das Camp erstmals betritt, kulminieren zwei Welten: die eine  steht für Unterdrückung und Unterwürfigkeit (Belén), die andere für Zügellosigkeit und freie Liebe (das Camp). Doch noch etwas anderes – eine zweite Lebenswirklichkeit – stellt Rinner dem von Eintracht und Zwanglosigkeit geprägten Swinger-Dasein auf gelungene Art gegenüber: die reaktionären, konservativen Wert- und Moralvorstellungen der Schönen und Reichen, die in ihren teuren Villen direkt hinter der Mauer wohnen.

Das Ende des Films ist radikal und unerwartet. Für ein solch drastisches Finale gebührt Rinner großer Respekt. Steht der mutige, fast surreal anmutende Schluss doch in krassem Widerspruch zur ruhigen, sanften Inszenierung und zum bedächtigen Tonfall der vorherigen 90 Minuten.

Björn Schneider