Die Magnetischen

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Eine romantische Dreiecksgeschichte zwischen zwei Brüdern und der hinzugezogenen Marianne erzählt der Anfang der 80er-Jahre angesiedelte Film „Die Magnetischen“. In ihrem verschlafenen französischen Heimatdorf betreiben Philippe und Jerôme einen Radiosender und huldigen ihrer Liebe zur Rockmusik. Mit der Ankunft von Marianne und dem näher rückenden Militärdienst ändert sich das Leben aller schlagartig. Mit akustischem Scharfsinn und seiner erzählerischen Ausgewogenheit entwickelt der mit überzeugenden Jungdarstellern besetzte „Die Magnetischen“ eine außerordentliche Sogwirkung.

Webseite: www.port-prince.de/en/project/les-magnetiques/

Frankreich, Deutschland 2021
Regie: Vincent Maël Cardona
Drehbuch: Romain Compingt, Vincent Maël Cardona
Darsteller: Thimotée Robert, Marie Colomb, Joseph Olivennes, Meinhard Neumann

Länge: 98 Minuten
Kinostart: 28.07.2022
Verleih: Port au Prince Pictures

FILMKRITIK:

Frankreich 1981: Philippe (Thimotée Robart), ein schüchterner, Technik-begeisterter junger Mann, liebt das Medium Radio. Gemeinsam mit seinem älteren Bruder Jerôme (Joseph Olivennes) und Freunden betreibt er in seinem Heimatort einen Piratensender. Die Welt der beiden so verschiedenen Brüder steht plötzlich Kopf, als die charismatische Marianne (Marie Colomb) in den Ort zieht, um dort eine Friseurlehre zu absolvieren. Es dauert nicht lange und die Zwei verlieben sich in Marianne. Das (Gefühls-)Chaos ist perfekt, als Philippe zum Militärdienst nach West-Berlin eingezogen wird. In der geteilten Stadt steigt er schnell zum Radio-DJ auf – muss aber feststellen, dass die Uhren dort anders ticken. Und dann wären da immer noch die unausgesprochenen Gefühle Marianne gegenüber.

Nach einer ganzen Reihen von Kurzfilmen legt Vincent Maël Cardona mit „Die Magnetischen“ sein Kino-Debüt vor, in dem er die unterschiedlichsten Storyelemente und Genre-Versatzstücke miteinander vermengt. Und das auf durchaus stimmige und gekonnt kohärente Weise. Im Kern erzählt das Werk von Gegensätzen, sowohl hinsichtlich der Handlungsorte bzw. Regionen als auch den charakterlichen und zwischenmenschlichen.

Das fängt bereits bei der Unterschiedlichkeit im Wesen der Brüder Philippe und Jerôme an. Während Philippe der eher in sich gekehrte Melancholiker ist, handelt es sich bei Jerôme um einen draufgängerischen Lebemann und Frauenhelden, der gerne mal einen über den Durst trinkt und über den Piratensender seinem Hang zu Punkrock und Heavy Metal frönen kann. Dennoch verbindet die Brüder eine innige Liebe und Verbundenheit.

Thimotée Robart und Joseph Olivennes verleihen dieser Beziehung eine tolle, mitreißende Dynamik. Außerdem ergänzen sie sich in ihrer Darbeitung: Während Robart mit würdevoller Zurückhaltung agiert, begeistert Olivennes mit ansteckender Energie, Charisma und Leinwandpräsenz. Das Gegensätzliche lotet Cardona darüber hinaus anhand der jeweiligen Schauplätze aus. Dem beschaulichen, sorgenfreien aber auch – vor allem für junge Menschen – etwas langweiligen Leben in der Provinz, stellt er den Alltag in den Metropolen gegenüber. Die Clubs, das Nachtleben, die Kunst- und Musikszene sowie die bizarren, schrillen Individuen in Berlin oder Paris.

Letztlich geht es um Themen wie dem Wunsch nach Freiheit, dem Ausbruch aus dem provinziellen Dasein und dem Ausloten von Grenzen. Cardona findet dafür immer wieder humorvolle Momente, die von pointiertem Witz durchzogen sind. Durchbrochen wird der Humor durch fein austarierte, sanftmütige Szenen, denen eine regelrecht träumerische Atmosphäre innewohnt. Darunter eine ebenso anspielungsreiche wie unbeschwert-verheißungsvolle Szene zwischen Marianne und Philippe, angesiedelt im Friseursalon

Und zu guter Letzt schwebt beständig ein Gefühl des Wandels und Umbruchs über dem Geschehen. Gerade des gesellschaftlichen, technischen und politischen. Alte Regierungen gehen, neue kommen. Zum Beispiel der im Film angesprochene Sieg des Sozialisten Mitterand im Frühjahr 1981. Die etablierten Medien und – akustischen – Techniken werden allmählich von modernen, neuartigen abgelöst. In „Die Magnetischen“ wunderbar zu sehen, und zu hören, anhand von charmant-nostalgisch anmutender Rundfunk-Technik, des Radio-Equipments und der analogen Tonträger (Musikkassette, Vinyl-Schallplatte). 1981 war nämlich auch das Jahr, in dem der Weltöffentlichkeit die CD präsentiert wurde. Eine weitere Zeitenwende, die der Film subtil und gekonnt andeutet.

 

Björn Schneider