Die Maisinsel

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In seiner meditativen Langsamkeit, seiner allegorischen Geschichte ist „Die Maisinsel“ – der zweite Film des georgischen Regisseurs George Ovashvili – klassisches Festivalkino und wurde schon oft ausgezeichnet. Er gewann beim Internationalen Filmfestival in Karlsbad und war Georgiens Beitrag für den Auslands-Oscar. Es ist ein bemerkenswertes Drama, eine fast stumme Erzählung mit starken, oft aber auch enigmatischen Bildern über eine symbolische Suche nach einem freien Leben in der vergänglichen Welt einer kaukasischen Grenzregion.

Webseite: www.neuevisionen.de

OT: Simindis kundzuli
Georgien, Deutschland, Frankreich, Tschechien, Kasachstan 2014
Regie: George Ovashvili
Buch: George Ovashvili, Roelof Jan Minneboo, Nugzar Shataidze
Darsteller: Ilyas Salman, Mariam Buturishvili, Tamer Levent
Länge: 100 Minuten
Verleih: Neue Visionen
Kinostart: 28. Mai 2015
 

FILMKRITIK:

Nicht nur in der Ukraine versucht Russland seine Machtsphäre auszubauen, auch in den ehemaligen Teilrepubliken im Kaukasus sorgt die Weltmacht für Unruhe: In Aserbaidschan heißt das umkämpfte Gebiet Berg-Karabach und ist ebenso andauernder Unruheherd wie die beiden Regionen Südossetien und Abchasien, die völkerrechtlich zwar noch zu Georgien gehören, sich aber unabhängig erklärt haben. Als solche werden sie allerdings nur von Russland anerkannt und sind auch nur vom angrenzenden Russland zu erreichen, was der wirtschaftlichen Entwicklung und sozialen Lage aus offensichtlichen Gründen schadet.

Diese Historie ist Hintergrund für „Die Maisinsel“, in dem sich der in der Hauptstadt Tbilisi geborene George Ovashvili erneut mit dem Verhältnis von Georgien zu Abchasien beschäftigt. In seinem Debüt „Das andere Ufer“ beschrieb er die Suche eines kleinen Jungen nach seinem Vater, der hinter den feindlichen Linien lebt, „Die Maisinsel“ spielt sogar unmittelbar auf der Grenze, quasi im Niemandsland zwischen zwei feindlichen Staaten. Dieses bildet im Westen Georgiens der Fluss Enguri, der aus dem Kaukasus ins Schwarze Meer fließt. Im Frühjahr bilden sich durch aus dem Gebirge herabgeschwemmte Erdbrocken in der Mitte des Flusses kleine Inseln, die nur wenige Monate existieren und vorübergehend fruchtbares Land erschaffen.

Auf eine dieser Inseln beginnt zu Beginn des Films ein alter Mann (Ilyas Salman), ein Haus zu bauen: Erst ein Pfosten, dann ein zweiter, ein dritter, ein vierter. Langsam entstehen die Wände, schließlich das Dach, irgendwann holt er mit seinem kleinen Boot ein Mädchen vom Festland (Mariam Buturishvili), die wohl seine Enkelin ist. Doch Genaues erfährt man nicht, denn gesprochen wird in dieser kargen Umgebung kaum. Gemeinsam ziehen der Mann und das Mädchen Furchen, säen Mais, der langsam wächst. Gelegentlich fahren auf der einen oder anderen Seite der Insel Boote vorbei, in ihnen Soldaten der einen oder anderen Seite, die den alten Mann mit skeptischen, das Mädchen mit neugierigen Blicken bedenken. Irgendwann taucht ein verwundeter Soldat auf (Tamer Levent), der gepflegt und versteckt wird und bald wieder verschwindet. Nicht jedoch bevor sich zwischen ihm und dem Mädchen eine kurze Annährung angebahnt hat, die jedoch kaum mehr als ein Moment im Vergehen der Zeit ist, die hier beschrieben wird.

Kurze Texttafeln zu Beginn des Films erklären die politischen Umstände, doch viel mehr als ein Film über die aktuelle Situation Georgiens ist „Die Maisinsel“ eine Allegorie über universelle Themen. Ob es nun georgische und russische Soldaten sind, die an der Insel vorbeiziehen, spielt letztlich kaum eine Rolle, genauso gut könnten es nord- und südkoreanische oder pakistanische oder indische sein. Entscheidend sind die Menschen bzw. die Typen, von denen Ovashvili hier erzählt. Denn wirkliche Charaktere sind weder der alte Mann, noch das junge Mädchen oder der Soldat. Vielmehr wirken sie wie Figuren aus einer mythologischen Erzählung, die in 100 Minuten den Kreislauf der Existenz durchleben: Die Insel entsteht, der Boden wird bestellt, die Insel verschwindet wieder. Dass diese Allegorie der Vergänglichkeit als Film funktioniert, liegt nicht zuletzt an der brillanten Kameraarbeit, die in ruhigen Bildern um die Menschen und die Insel kreist. Höchst enigmatisch wirkt das bisweilen, in seiner ruhigen Präzision aber auch meditativ. Einfach ist „Die Maisinsel“ nicht, aber ohne Frage ein ungewöhnliches filmisches Wagnis.
 
Michael Meyns