Die Mühle & das Kreuz

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Das Bild lebt: Regisseur Lech Majewski setzt in »Die Mühle & das Kreuz« betörende Kompositionen in Szene und erzählt von der Entstehung des Gemäldes
»Die Kreuztragung Christi« von Pieter Bruegel dem Älteren.
Ein Film über ein Gemälde aus dem 16. Jahrhundert - was sich anhört wie ein eher langatmiges Projekt, wurde in den Händen des polnischen Regisseurs und Videokünstlers Lech Majewski zu einem der faszinierendsten Filme des Jahres. In „Die Mühle & Das Kreuz“ betritt der Zuschauer gleichzeitig die Welt des belgischen Malers Pieter Bruegel und das von ihm gemalte Bild „Die Kreuztragung Christi.“ Das Ergebnis ist ein enorm reicher, gelehrter, visuell umwerfender Film.

Webseite: www.neuevisionen.de

Polen, England 2011
Regie: Lech Majewski
Buch: Michael Francis Gibson, Lech Majewski
Darsteller: Rutger Hauer, Michael York, Charlotte Rampling, Joanna Litwin, Oskar Hulickza
Länge: 90 Minuten
Verleih: Neue Visionen
Kinostart: 24. November 2011

PRESSESTIMMEN:

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FILMKRITIK:

Nur selten widmen sich Filmregisseure den berühmten Gemälden der Kunstgeschichte, was einerseits überrascht, andererseits an der Schwierigkeit der Darstellung liegt. Künstler beim Malen zuzusehen ist wenig spannend (außer man hat das Glück wie Henri-George Clouzot und hat Picasso zur Verfügung, der in „La Mystere Picasso“ direkt auf die Leinwand malt), Gemälde in Nahaufnahmen abzufilmen und Kunsthistoriker dazu kluge Sachen sagen zu lassen kann auch das Fernsehen. Der Ansatz, den der polnische Regisseur und Videokünstler Lech Majewski in seinem Film „Die Mühle & Das Kreuz“ gewählt hat, ist gleichermaßen brillant wie ambitioniert, technisch höchst kompliziert und im Ergebnis doch bestechend prägnant. Ein Bild des flämischen Malers Pieter Bruegel beschäftigt Majewski, lässt es zum Leben erwecken, taucht in es ein – im wahrsten Sinne des Wortes. 1564 entstanden, zeigt die „Kreuztragung Christi“ genau das: Christus, wie er mit dem Kreuz über der Schulter auf dem Weg nach Golgata ist. Doch wie man es von fast bis zur Überfüllung reichen Gemälden Bruegels kennt, versammelt der Maler eine Vielzahl von Figuren, Gebäuden, Situationen in seinem Werk, die auf vielfältige, mal offensichtliche, mal verschlüsselte Weise ein Bild der Zeit malen, in der das Bild entstand.

Und hier setzen Majewski und sein Co-Drehbuchautor Michael Francis Gibson an. Gibson hatte in einem gleichnamigen Buch ausführlich das Gemälde, die Entstehungszeit und die private Situation Bruegels untersucht, Majeswski tut dies in Bildern. Momente aus dem Leben Bruegels (gespielt von Rutger Hauer), seines Auftraggebers Nicolas Jonghelinck, einem reichen Kaufmann und Kunstsammler aus Antwerpen (Michael York), sind die eine Ebene. Sie zeigen Flandern unter der Knute der spanischen Besatzer, die durch die Inquisition Angst und Schrecken verbreiten. In diesem Umfeld der Angst und Unterdrückung, in dem Nachbarn ihre Bekannten wegen eines unbedachten Wortes verraten, beginnt Bruegel an seinem Gemälde zu arbeiten. Doch seine Version der Kreuztragung soll nicht einfach ein weiteres historisches Gemälde ohne Bezug zur Gegenwart werden, sondern eine Metapher für die immer wiederkehrende Unterdrückung und Ermordung Andersdenkender. Und für die Gleichgültigkeit, die dies bei der breiten Masse hervorruft, die sich an Hinrichtungen und zur Schau gestellten Folteropfern ergötzt, so lange genug zu essen auf dem Tisch ist.

In diese Welt taucht der Film nun ein, visualisiert einzelne Szenen, imaginiert das Leben der Menschen des Bildes, etwa des Müllers aus der titelgebenden Mühle, die im Zentrum des Gemäldes steht. Teilweise ist dies als Tableux Vivant inszeniert, Szenen still stehender Menschen, vor denen Bruegel seinem Mäzen seine Intentionen erläutert. Vor allem aber als „normale“ Spielszenen, die durch eine komplizierte Vermischung optischer Tricks gleichermaßen authentisch wirken, denen aber dennoch stets ein Hauch der Künstlichkeit inne ist.

Meistens lässt Majewski die Bilder für sich sprechen, die Qualen der Folter, die Trauer der Angehörigen, nur wenige Dialoge vermitteln skizzenhaft ein Bild der Zeit, geben Anhaltspunkte, vertrauen weitestgehend aber auf das Interesse des Zuschauers, der nach Ende des wunderbaren Films „Die Mühle & Das Kreuz“ am liebsten sofort in ein Flugzeug nach Wien steigen will – denn im dortigen Kunsthistorischen Museum ist das Original von Bruegels Gemälde ausgestellt, dem man nur dort noch näher kommen kann als mit diesem Film. Und selbst das ist dank Majeswskis Originalität nicht gewiss.

Michael Meyns

Um 1560. Der Maler Pieter Bruegel (Rutger Hauer) erhält von einem flämischen Geschäftsmann (Michael York) den Auftrag, die Kreuztragung Christi darzustellen.

Der Künstler beschließt, das Geschehen nicht nach Jerusalem zu legen, wo es historisch stattfand, sondern es in der eigenen Heimat anzusiedeln. Das heißt den leidensvollen Kreuzweg nach Golgotha mit dem damaligen Leben in Flandern zu umgeben. Das geschieht denn auch.

Oft wird die Entstehung des Bildes von einer hoch gelegenen Mühle aus betrachtet, daher der Titel des Films. Die seinerzeitige Herrschaft der Spanier über die Niederlande und Flandern ist grausam zu spüren. Ein Widerständler wird von roten Reitern verfolgt, aufs Rad gespannt und so getötet. In einem Schinderkarren zwei weitere zum Tode Verurteilte. Ein Mönch leistet Beistand.

Dann auf der biblischen Seite: Simon von Kyrene wird von den Soldaten gezwungen, dem mehrmals zusammengebrochenen Christus das Kreuz tragen zu helfen.

Weiter: die Beweinung Christi. Charlotte Rampling ist es, die dabei still, trauernd, diskret die Maria spielt.

Bauern, Wanderer, Reiter, lagernde Gruppen, Gaukler – zwischen den Vielen immer wieder, gemalt oder in Natur, die flämische Landschaft.

Die Mühle. Ihr Räderwerk, ihr langsames aber unentrinnbares, unaufhörliches Mahlen. Die Gedanken des Müllers. Der Blick von der Mühle auf die Ereignisse im Tal.

Der Maler: wie er nachdenkt, skizziert, ausprobiert, abmisst, mit dem Auftraggeber spricht, malt. In klein aber im Mittelpunkt Christus und das Kreuz.

Ein (schwedisch-polnisches) Experiment. Farbe, Mode, Raum, Geschehen, Maler, Zentrum und lebendiger Umraum, Religion, Epoche – das alles ist in einem außergewöhnlichen Projekt verwoben.

Etwas Neues, etwas Eigenwilliges, etwas Besonderes, etwas Gewöhnungsbedürftiges, etwas in sehr getragenem Rhythmus Entstehendes – von einem Künstler wie Lech Majewski nicht anders zu erwarten. Interessierten anzuraten.

Thomas Engel