Die Poetin

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Im Jahr der Fußballweltmeisterschaft finden mehr brasilianische Filme als sonst den Weg auf unsere Leinwände. „Die Poetin“ betrachtet das Land durch die Augen einer Ausländerin: Regisseur Bruno Barreto erzählt die wahre Geschichte der US-amerikanischen Lyrikerin Elizabeth Bishop, die  1951 nach Brasilien kam und unerwartet 15 Jahre lang blieb. Barreto zeigt die Fremdheit und gleichzeitig Faszination zweier verschiedener Kulturen.

Webseite: www.diepoetin-film.de

Originaltitel: Flores Raras (Reaching for the Moon)
Brasilien 2013
Regie: Bruno Barreto
Buch: Matthew Chapman, Julie Sayres
Darsteller: Miranda Otto, Glória Pires, Tracy Middendorf, Marcello Airoldi, Lola Kirke, Marianna Mac Niven
Länge: 110 Minuten, FSK: ab 6
Verleih: Pandastorm Pictures, Vertrieb: Neue Visionen
Kinostart: 10. April 2014

FILMKRITIK:

Elizabeth Bishop (Miranda Otto) befindet sich Anfang der 50er-Jahre in einer tiefen Schaffens- und Sinnkrise. Ein Stipendium ermöglicht ihr eine große Reise nach Lateinamerika. 1951 landet sie in Brasilien, um ihre alte Studienfreundin Mary (Tracy Middendorf) zu besuchen. Deren Lebensgefährtin Lota (Glória Pires), eine erfolgreiche, sinnliche und herrische Architektin, und die spröde, schüchtere Elizabeth können überhaupt nichts miteinander anfangen. Elizabeth will schon weiterreisen, als das Eis zwischen ihr und Lota doch noch bricht. Die beiden so ungleichen Frauen verlieben sich ineinander. Beide teilen Siege und Niederlagen. Aber ausgerechnet die starke Lota erliegt dem Alkohol und leidet zunehmend unter Depressionen. Die Frauen entfremden sich – und auch Elizabeth sehnt sich zunehmend in ihre Heimat zurück. 
 
Der Regisseur Bruno Barreto ist ein Veteran, der bereits 19 Spielfilme realisierte, teilweise auch in Hollywood (z.B. „Flight Girls“). In Europa ist er dagegen kaum bekannt. Mit „Die Poetin“ bringt er zwei denkbar unterschiedliche Figuren und damit Kulturen zusammen: Die kühle, verkopfte Ostküsten-Intellektuelle Elizabeth Bishop, die 1956 den Pulitzer Preis für Poesie erhielt und bis heute als einer der größten Dichterinnen der USA gilt; und die eruptive, emotionale, völlig ihrem Gefühl folgende Architektin Maria Carlota Costallat de Macedo Soares, die einer wichtigen brasilianischen Polit-Dynastien entstammte. Die Liebesgeschichte, die sich zwischen ihnen entspinnt, nutzt Barreto aber weniger zu einer Betrachtung über Gender und homosexuelle Liebe. Die unüberwindbaren Gräben zwischen den Kulturen und die daraus resultierenden Verlusterfahrungen interessieren ihn mehr.
 
Dabei bedient der Regisseur sich einer elegischen Bildsprache. Er schwelgt in Aufnahmen der satten brasilianischen Natur, in Bildern voller Sonnenschein, Gegenlicht, Grünschattierungen und Luxus; er liebt ganz offensichtlich die Eleganz der damaligen Mode. Barreto schafft ein großes, sinnliches Filmgemälde und zeigt das Leben der reichen Oberklasse. Die beiden Hauptdarstellerinnen finden darin den Raum für komplexe Figurenporträts. Vor allem Miranda Otto überzeugt mit der Darstellung einer zutiefst unsicheren und unglücklichen, kalten und grüblerischen Frau mit schrecklicher Kindheit, die sich letztlich aber doch nicht verbiegen lässt und unnachgiebig bleibt. Glória Pires gelingt es nicht ganz so gut, die umgekehrte Entwicklung ihrer Figur von überbetontem Selbstbewusstsein zum Nervenzusammenbruch glaubhaft zu transportieren.
 
Am Ende enttäuscht „Die Poetin“, weil Barreto es nicht schafft, dieser so faszinierenden Liaison mehr abzuringen als schöne Bilder. Das Geschehen bleibt sehr vordergründig und brav linear, es gibt sogar völlig unnötige Rückblenden in die Kindheit von Elizabeth Bishop. Barreto vertraut dem Imaginären viel zu wenig; es gelingt ihm nicht, ein filmisches Äquivalent zur Sprache der Poesie zu finden. Stattdessen erzählt er alles aus und lässt Geschichte und Figuren kein Geheimnis. Stellenweise verkommt „Die Poetin“ so zur Seifenoper in Cinemascope. Der Film bietet letztendlich nicht viel mehr als die Möglichkeit, schöne Bilder zu genießen und sich kulturell ein wenig auf die nahende WM einzustimmen.
 
Oliver Kaever