Im doppelten Sinne aus vergangenen Zeiten scheint Xavier Kollers Jugendbuchverfilmung "Die schwarzen Brüder" zu stammen: Zum einen wird vom abenteuerlichen Leben des Tessiner Jungen Giorgios erzählt, der im Mailand des 19. Jahrhunderts Schornsteinfegerjunge wird und sich mit allerlei Widrigkeiten rumschlagen muss, zum anderen ist der Film höchst altmodisch und wirkt wie eine Reminiszenz an die 80er Jahre - was nicht schlecht ist, sondern im besten Sinne sehenswert.
Webseite: www.schwarzebrueder.de
Schweiz/ Deutschland 2013
Regie: Xavier Koller
Buch: Fritjof Hohagen und Klaus Richter, nach dem Roman von Lisa Tetzner und Kurt Held
Darsteller: Moritz Bleibtreu, Richy Müller, Dominique Horwitz, Waldemar Kobus, Fynn Henkel, Catrin Striebeck, Ruby O. Fee
Länge: 100 Minuten
Verleih: StudioCanal
Kinostart: 17.4.2014
FILMKRITIK:
Im lieblichen, malerischen Tessin des 19. Jahrhunderts wächst Giorgio (Fynn Henkel) mit seiner Familie auf, in einer heilen, unbeschwerten Welt. Doch dann stürzt die Mutter unglücklich, Geld für einen Arzt ist nicht da, der Vater ist verzweifelt. Auf diesen Moment hat der hinterlistige Menschenhändler Luini (Moritz Bleibtreu) nur gewartet: Er drängt dem Vater einen Deal auf, den dieser nicht abschlagen kann. Für ein halbes Jahr kauft er die Dienste Giorgios, der zusammen mit einigen anderen Tessiner Jungs nach Mailand gebracht wird und meistbietend an Schornsteinfeger verkauft wird.
Fortan müssen die Tessiner Jungs die breiten Schornsteine von Bäckereien, Schmieden und Privathäusern hochsteigen, mit Bürste und Besen Spinnweben und Ruß beseitigen und bekommen dafür kaum mehr als einen Hungerslohn. Wenn sie Glück haben. Denn die meisten der Schornsteinfegerjungs werden von ihren Meistern wie Sklaven behandelt und sterben oft schnell an Lungenverschmutzung.
Giorgi hat es da noch ganz gut getroffen. Sein Meister ist freundlich zu ihm, schlafen muss er zwar in einem Verschlag im Keller, doch mit Angeletta (Ruby O. Fee), der lieblichen Tochter des Meisters, hat er eine reizende Verbündete. Zu seinen Freunden gehört auch Alberto, der sich die Schikanen seines Meisters und einiger Straßenjungs nicht gefallen lassen will: Er gründet Die schwarzen Brüder, die Bande der Schornsteinfegerjungs, die gemeinsam für Gerechtigkeit kämpfen und vor allem für ihre Rückkehr in die Heimat.
Schon 1941 schrieb Lisa Tetzner die Romanvorlage, die von ihrem Mann Kurt Held (dem Autor des Jugendbuchklassikers "Die rote Zora") beendet wurde. Da beide politisch aktiv waren, darf man in der auf wahren Begebenheiten beruhenden Geschichte fraglos auch Anspielungen an die Entstehungszeit sehen, an Rebellion, Unterdrückung und den Kampf für Gerechtigkeit. Dass alles verwandeln Regisseur Xavier Koller und seine Drehbuchautoren in einen kurzweiligen Jungendfilm, der auf sympathische Weise altmodisch wirkt.
Keine Spezialeffekte, keine überdimensionierten Verfolgungsjagden und Actionszenen finden sich hier, wie sie heutzutage selbst in Kinderfilmen meist gang und gebe sind. Ob eine letztlich so unspektakuläre Geschichte allerdings bei modernen Jugendlichen, die mit Harry Potter und ähnlichem aufgewachsen sind begeistert sei dahingestellt. Zumal "Die schwarzen Brüder" immer wieder arg unsubtil erzählt, seine Botschaft von Zusammenhalt, der Kraft der Freundschaft und dem Kampf gegen Ungerechtigkeit selbst für Kinder- oder Jugendfilmverhältnisse etwas überdeutlich ausformuliert.
Viel überzeugender ist da die schön schmutzige Ausstattung, die endlos langen Kamine, das Leben auf den Straßen und in den Hinterhöfen Mailands und nicht zuletzt die Darsteller. Die meisten Kinderdarsteller tun sich zwar immer wieder schwer, nicht zu modern zu agieren, die Sprache des 19. Jahrhunderts nicht mit zu vielen "Yeahs" oder "Mans" zu durchsetzen, doch gerade die Erwachsen spielen groß auf. Vor allem Moritz Bleibtreu ist hier zu nennen, der in bester Dickens-Manier eine durch und durch hinterhältige Figur gibt, die einst selber Schornsteinfegerjunge war und durch die erlittenen Qualen jegliches Mitgefühl verloren hat. Nicht zuletzt durch ihn wird "Die schwarzen Brüder" zu einem sehenswerten Jugendfilm, der im besten Sinne des Wortes altmodisch ist.
Michael Meyns