Ein weiterer Klassiker des DDR-Kinderfilms: Vier Kinder müssen im zerstörten Nachkriegsdeutschland um ihr Überleben kämpfen, aber wenigstens haben die Vier ein Dach über dem Kopf. Um Essen für seine Geschwister zu besorgen und auch selbst nicht zu verhungern, ist Siggi, dem Ältesten, jedes Mittel recht: Er geht auf Diebeszug, er stiehlt und betrügt andere auf dem Schwarzmarkt. Das wird nicht lange gutgehen. Dieter Wien, der in der DDR hauptsächlich als Schauspieler tätig war und auch im wiedervereinten Deutschland zum TV-Star wurde, aber relativ selten Regie führte, machte 1982 aus dem Film ein Lehrstück über die schrecklichen Folgen des Krieges und über den Wunsch nach Normalität.
Über den Film
Originaltitel
Die Spaghettibande (WA)
Deutscher Titel
Die Spaghettibande (WA)
Produktionsland
DDR
Filmdauer
65 min
Produktionsjahr
1982
Regisseur
Wien, Dieter
Verleih
Der filmverleih GmbH
Starttermin
23.10.2025
Für Siggi, seine Schwester Lilli und seine Brüder Heinz und den Jüngsten, der von allen nur Stäbchen genannt wird, ist das Leben schwer. Der 2. Weltkrieg ist gerade beendet, und die Stadt, in der sie leben, besteht nur noch aus Ruinen. Wenigstens haben sie eine kleine Kellerwohnung, in der sie einigermaßen sicher vor einstürzenden Trümmern sind. Und wer weiß: Vielleicht kommen auch die Bombenflugzeuge zurück? Die Kinder sind, wie so viele andere in dieser Zeit, komplett auf sich selbst gestellt. Ihre Mutter ist lebensgefährlich an Typhus erkrankt und liegt im Krankenhaus, der Vater ist im Krieg gefallen. Siggi ist der Älteste, ein Junge von ungefähr 14 Jahren, der jetzt die Verantwortung für seine jüngeren Geschwister trägt, und Siggi nimmt seine Aufgabe sehr ernst. Wenn er dafür zum Einbrecher wird und seine Geschwister zu Komplizen macht, dann ist ihm das egal, solange es wenigstens was zu beißen gibt. Als die Kinder dank Siggis Plan und Stäbchens Einsatz einen ganzen Keller mit Kisten voller Spaghettipackungen entdecken, brechen goldene Zeiten für sie an. Der Hunger ist vorbei, und Siggi wird zum King auf dem Schwarzmarkt. Doch eines Tages werden die Kinder auf frischer Tat ertappt. Allen bis auf Siggi gelingt die Flucht…
Die realistisch geschilderte Nachkriegsgeschichte wird hier in eine Rahmenhandlung verpackt, die in der Gegenwart spielt und in der ein Rabauke in der Pause von seinem Mathelehrer zur Rede gestellt wird. – Der Lehrer entpuppt sich als der nunmehr erwachsene und zum Lehrer gereifte Siggi, dessen mathematisches Talent von dem sowjetischen Soldaten entdeckt wurde, der ihn damals gefangengenommen hatte. Heute schämt er sich für die Taten, die er begangen hat, auch wenn es eigentlich damals keine Alternative gab. Der Rabauke staunt mächtig über die Geschichte, die ihm da erzählt wird. Unvorstellbar für ihn, dass es vor gar nicht allzu langer Zeit so viel Hunger und Elend gegeben hat. Und ebenso unvorstellbar, dass der seriöse Mathelehrer Sigmund (Ekkehard Hahn) einmal ein noch schlimmerer Schlingel als er selbst war. Aber bei Siggi ging’s ums nackte Überleben. Dahinter steckt natürlich auch der Gedanke: Wie gut geht’s uns heute, und dafür sollte man dann auch dankbar sein und sich entsprechend verhalten. In diesem Sinne wird der Rabauke in Windeseile zum künftig braven Schuljungen und verspricht Besserung.
Im Wesentlichen geht es um den Frieden nach dem Krieg – und was die Menschen daraus machen. Der Wunsch nach Normalität und nach einem friedlichen Miteinander steht hinter der spannenden Story. Die Geschichte selbst ist gut erzählt und gut beobachtet. Die Kinder spielen sehr natürlich und authentisch – ein besonderes Kennzeichen der DDR-Kinderfilme, die dank eines sorgfältigen Castings und viel Zeit für Proben und das Miteinander beim Dreh durchgängig sehr gute schauspielerische Leistungen von Kindern aufweisen. Das ist ebenso typisch wie die Propagierung der Grundprinzipien des Sozialismus, die in keinem Film fehlen dürfen, hier verkörpert durch den geläuterten Siggi und den in jeder Beziehung vorbildlichen und gutherzigen sowjetischen Soldaten, einen überzeugten Sozialisten, der in seinem eigentlichen Beruf Mathematiklehrer ist. Besonders die Themen Gleichheit und Solidarität spielen im Film eine Rolle. Denn Siggi hat bei seinen Diebeszügen gar nicht bedacht, dass die Spaghetti, die er stiehlt und auf dem Schwarzmarkt verkauft, woanders fehlen könnten, so dass andere Kinder hungern müssen. Der Schwarzmarkt wird hier nicht romantisiert, sondern als eine Art kapitalistischer Auswuchs verteufelt – auch 1982, als der Film gedreht wurde, gab es in der DDR aufgrund des Mangels an bestimmten Waren und Gütern eine Schattenwirtschaft, die natürlich vom Staat absolut nicht gern gesehen wurde, aber nie unterbunden werden konnte. Der Schwarzmarkt betraf sowohl den Handel mit Devisen als auch mit Produkten, an denen Mangel herrschte. Kein Wunder also, dass sich die Abneigung dagegen auch im Film äußert.
Der kleine Film (65 Minuten) erzählt also nicht nur eine spannende Geschichte für das junge und ganz junge Kinopublikum, sondern er ist auch ein durchaus interessantes Zeitdokument, das neben dem diskret, aber dennoch offensichtlich erhobenen pädagogischen Zeigefinger vor allem kindgerechte Einblicke ins Leben im Nachkriegsdeutschland bietet.
Gaby Sikorski