Diese Nacht

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Werner Schroeters neuer Film „Diese Nacht“, der eine Nacht in der fiktiven Hafenstadt Santa Maria beschreibt, bewegt sich irgendwo zwischen Film und Oper. Lose folgt die Handlung dem ehemaligen Söldner Ossorio bei seiner Suche nach seiner verflossenen Liebe, viel wichtiger aber ist Schroeter die Atmosphäre einer dystopischen Diktatur, in der Anklänge an die Gegenwart kein Zufall sind.

Webseite: filmgalerie451.de

OT: Nuit de Chien
Frankreich, Portugal, Deutschland 2008
Regie: Werner Schroeter
Buch: Giller Taurand, Werner Schroeter nach dem Roman von Juan Carlos Onetti
Darsteller: Pascal Greggory, Jean-Francois Stevenin, Bruno Todeschini, Sami Frey, Bulle Ogier, Amira Casar, Eric Caravaca
Länge: 118 Minuten, Format: 1:1,85
Verleih: Filmgalerie 451
Kinostart: 2.4.2009

PRESSESTIMMEN:

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FILMKRITIK:

Eine ganz Zeit sah es so aus, als hätte „Diese Nacht“ Werner Schroters letzter Film werden können, als würde er die Fertigstellung nicht erleben. Die schwere Krankheit, von der der Regisseur nun genesen zu sein scheint, hat fraglos eine entscheidende Rolle bei der Wahl des Stoffes gespielt. Vorlage war der 1943 erschienene Roman „Para esta Noche“ des aus Uruguay stammenden Autors Juan Carlos Onetti. Dessen düsterer Beschreibung einer im Verfall befindlichen autokratischen Gesellschaft folgt Schroeter recht akkurat, so dass sein langjähriger Produzent Paolo Branco “Diese Nacht“ schon als linearsten Schroeter-Film bezeichnete. Einerseits stimmt das, andererseits ist es aber auch ein typischer Schroeter. 

Die Geschichte beginnt mit der Ankunft Ossorios (Pascal Greggory) in Santa Maria, einer Hafenstadt im Ausnahmezustand. Die Geheimpolizei führt ein unerbittliches Regime, angeführt von Morasan (Bruno Todeschini), doch eine Rebellenarmee steht kurz vor der Eroberung. Ossorio will seine ehemalige Geliebte Clara finden und mit ihr auf dem letzten Schiff fliehen. 

Diese Suche zeigt Schroeter nun in langen Sequenzen, in einem Nachtclub, einer zum Hauptquartier der Geheimpolizei umfunktionierten Kirche, in Strandvillen und vor allem in den Gassen der Stadt. In Porto wurde gedreht, doch Schroeters Santa Maria ist eine zeit- und ortlose Stadt, einerseits heutig wirkend, andererseits von verfallener, zeitloser Schönheit, ohne störende Merkmale der technologisierten Moderne. Fraglos trägt auch Schroeters Stil dazu bei, dass „Diese Nacht“ kaum als Film aus dem Jahre 2008 zu erkennen ist, sondern so oder so ähnlich auch vor zehn, zwanzig Jahren hätte entstehen können.

Bei allem altmodischen Charme blickt „Diese Nacht“ jedoch nicht zurück auf ein gelebtes Leben, sondern nach vorn, auf ein noch zu lebendes Leben. Ganz am Anfang des Films, während die Kamera Details von Titians „Die Schindung des Marsyas“ zeigt, heißt es „Der Tod kommt, wann er kommen soll“, ein Zitat aus Shakespeares „Julius Caeser.“ Angesichts von Schroeters eigener Nähe zum Tode während der Arbeiten an diesem Film liegt es nahe, diesen Satz als Motto des Films und seiner Intention zu sehen: Nicht als hoffnungslosen Moment angesichts des nahenden Todes, sondern als Hinweis auf die Unausweichlichkeit des Todes, der bis zu jenem Moment, mehr oder weniger Nahe in der Zukunft, ein reiches Leben entgegengestellt werden soll. 

Diese Lebenslust spricht nicht nur aus den in malerisches Licht getauchten Bildern Schroeters, sondern vor allem aus dem Gesicht Pascal Greggorys. Vom ersten Moment an, wenn er aus dem Zug tritt und den Bahnhif Santa Marias verlässt, umspielt ein beseeltes Lächeln sein Gesicht, das selbst vor den Grauen einer Diktatur nicht zurückweicht. Wie ein Außenstehender bewegt sich Greggorys Ossorio durch die Nacht, beobachtet von Alkohol und Tanz erschöpfte Nachtclubbesucher, ein kleines Mädchen, das auf den Straßen Blumen verkauft, und andere Gestalten der Nacht. In kurzen Auftritten versammelt Schroeter hier Schauspieler wie Bulle Ogier, Sami Frey oder Natalie Delon, die kommen und gehen, sich in den Sog der losen Geschichte fügen, an deren Ende zwar der Tod steht, vor dem jedoch intensiv gelebt wurde.

Michael Meyns

 

Werner Schroeter denkt gar nicht daran, 08/15-Filme zu drehen wie viele andere Regisseure. Bei ihm spielen das ausgesuchte Thema, die Phantasmagorie, die intensive Leidenschaft, die Utopie, das Besondere eine Rolle. Dieses Mal nahm er als Grundlage für „Diese Nacht“ den Roman des Uruguayers Juan Carlos Onetti.

Eine Nacht in der Stadt Santa Maria. Sie ist von feindlichen Truppen umzingelt. Ein abfahrbereites Schiff liegt im Hafen. Wer jetzt noch fliehen kann, sollte dies tun. Die Regierung ist bereits geflohen. Luis Ossario Vignale, ein Chirurg, der früher gegen das Militär politisch tätig war, kommt noch einmal kurz in die Stadt zurück. Er will seine Geliebte Clara retten, die spurlos verschwunden ist.

Die früheren Freunde gibt es nicht mehr. Jeder kämpft nur noch für sich selbst, vor allem seit die Geheimpolizei unter ihrem Chef Morasan ein Terrorregime errichtete. Ossario ist irritiert, sein Aufenthalt in Santa Maria wird zur nächtlichen Irrfahrt. Nur noch Angst und Opportunismus herrschen. 

Kommandant Martins beispielsweise schlägt sich mit seinen Truppen nur noch auf die Seite der Gewinner. Barcala wartet in seinem Versteck darauf, sich mit sämtlichen Schiffstickets in die Luft zu sprengen. Ossario findet ihn und erreicht, dass er zwei Tickets für sich und Clara, die er noch nicht gefunden hat, erhält. Doch warum verrät er Barcala an Morasan? Etwa in der Hoffnung, mit Barcalas Sprengung würde auch dieser in die Luft fliegen, zumal Morasan gerade die schöne Irene foltern ließ, die Ossario eine Unterkunft für die Nacht vermittelte?

Ossario nimmt sich Barcalas Tochter Victoria an, der er die Flucht ermöglichen will. Aber ob das gelingt!

Onettis Roman musste vom Drehbuchautor Gilles Taurand ergänzt und für den Film passend zubereitet werden. Das ist gelungen. 

Die negativistische Endzeithandlung wird charakterisiert durch Szenen und Bilder der Bedrückung und Angst, der Provokation und des Apokalyptischen, des Pathos und Melodramatischen, der Magie und des Artifiziellen. Die internationale Kritik ist sich einig, dass es sich um ein außergewöhnliches Werk handelt, ein schwieriges auch, ein ausgefallenes, das nicht zuletzt wegen einer komplizierten Montage die Anteilnahme des Betrachters erfordert. 

Insgesamt ist der Eindruck ebenso fremdartig wie furios und „schön“. (Spezialpreis der Jury in Venedig).

Thomas Engel