Ein Einfacher Unfall

Jafar Panahi, einer der wichtigsten iranischen Filmemacher der Gegenwart, überrascht mit seinem neuen Film „Ein einfacher Unfall“: Aus einer Rachegeschichte, die an Ariel Dorfmans Bühnenstück „Der Tod und das Mädchen“ bzw. dessen Leinwandadaption von Roman Polański erinnert, macht der in seiner Heimat lange Zeit mit einem Berufsverbot belegte Regisseur ein Roadmovie mit stark absurdem Einschlag. Auch wenn der in Cannes mit der Goldenen Palme ausgezeichnete Film immer wieder gewitzt Regimekritik übt, bleibt ein kleiner Beigeschmack: Sollte man ein aus Gefangenschaft und Folter erwachsendes Trauma wirklich so stark komödiantisch einfärben?

 

Über den Film

Originaltitel

Yek tasadef sadeh

Deutscher Titel

Ein Einfacher Unfall

Produktionsland

IRN,FRA,LUX

Filmdauer

105 min

Produktionsjahr

2025

Regisseur

Panahi, Jafar

Verleih

MUBI Deutschland GmbH

Starttermin

15.01.2026

 

Regelmäßig setzt Jafar Panahi das Kino als Waffe gegen die politischen und gesellschaftlichen Zustände im Iran ein. Seine Werke nehmen kein Blatt vor den Mund, prangern Korruption und Unterdrückung schonungslos an – und konnten in den letzten Jahren nur heimlich entstehen. 2010 wurde der Regisseur unter Hausarrest gestellt und durfte seiner Arbeit eigentlich nicht mehr nachgehen. Unbemerkt von den Behörden inszenierte Panahi allerdings Filme wie „Taxi Teheran“, der in Berlin den Goldenen Bären erhielt. 

 

Nach einem Hungerstreik kam der systemkritische Leinwandkünstler im Februar 2023 auf Kaution aus dem berüchtigten Evin-Gefängnis frei, in dem er eine bereits 2010 verhängte sechsjährige Haftstrafe absitzen sollte. Die Erfahrungen aus seiner Zeit hinter Gittern nutzte Panahi für sein neues Projekt „Ein einfacher Unfall“, das von den Auswirkungen eines mit Folter verbundenen Knastaufenthalts erzählt. Die Prämisse liest sich wie eine in den iranischen Kontext versetzte Version von Ariel Dorfmans Theaterstück „Der Tod und das Mädchen“, das in einer nicht näher identifizierten ehemaligen Militärdiktatur in Südamerika spielt und von Roman Polański mit Sigourney Weaver, Ben Kingsley und Stuart Wilson für das Kino adaptiert wurde. 

 

Ebenso wie dort löst ein Zwischenfall mit einem Auto eine verhängnisvolle Kettenreaktion aus: Eghbal (Ebrahim Azizi), seine Ehefrau und seine Tochter suchen Hilfe in einer Werkstatt, weil ihr Wagen bei einer Kollision mit einem Hund beschädigt wurde. Vahid (Vahid Mobasseri), einer der Mechaniker, glaubt seinen Ohren nicht zu trauen, als er das nur zu bekannte Geräusch eines über den Boden quietschenden künstlichen Beins vernimmt. Umgehend werden Erinnerungen an seine Zeit im Gefängnis wach, wo er von einem Mann mit einer solchen Prothese gefoltert wurde, während ihm die Augen verbunden waren.

 

Ohne lange zu überlegen, folgt Vahid seinem mutmaßlichen Peiniger und zerrt ihn am nächsten Tag in einen Lieferwagen. In der Wüste will er den Entführten schließlich lebendig begraben. Doch dessen Beteuerung, er sei der Falsche, lässt den Mechaniker innehalten. Hat er vielleicht wirklich einen Unschuldigen gekidnappt? Um sicherzugehen, verfrachtet er sein Opfer wieder in eine Kiste und düst mit ihm zu einem weiteren Ex-Gefangenen, der ihn allerdings entgeistert an eine andere Leidensgenossin verweist. Schon bald bekommt Vahid in seinem klapprigen Van Gesellschaft von einer Fotografin (Mariam Afshari) und einem Brautpaar (Hadis Pakbaten und Majid Panahi), die alle nicht recht wissen, wie sie mit der Situation umgehen sollen.

 

Entfaltet sich Polańskis „Der Tod und das Mädchen“ als hochintensives Kammerspiel, kommt es bei Panahi schnell zu einer unerwarteten Öffnung der filmischen Welt. Vahid und seine Begleiter fahren kreuz und quer durch die Gegend, folgen keinem klaren Plan, sondern bloß intuitiven Eingebungen. Das moralische Dilemma – die Frage, ob die erlittenen Qualen Rache rechtfertigen – kommt dabei zwar immer mal wieder zur Sprache. Richtig tiefgehend befasst sich der Film damit aber lange Zeit nicht. 

 

Stattdessen schickt der Regisseur seine überforderten Figuren auf eine Reise, die immer absurdere Ausmaße annimmt und, wie auf der Vorführung beim Film Festival Cologne 2025 zu hören war, zahlreiche Lacher produziert. Herrlich etwa, wenn einzelne Charaktere in einer Szene mehrfach in den Lieferwagen reinhüpfen, um den gefesselten Mann in der Kiste noch einmal in Augenschein zu nehmen. Ständig entzünden sich lautstarke Diskussionen. Permanent machen sich die Involvierten gegenseitige Vorwürfe. Und ausgerechnet der nicht gerade betuchte Vahid muss wiederholt seine Bankkarte zücken, um Probleme aus der zu schaffen – womit Panahi die Korruption in seinem Heimatland persifliert. Der Wunsch nach Rache kann ganz schön teuer sein, im wahrsten Sinne des Wortes!

 

Das alles ist mit Verve gespielt, mit leichter Hand inszeniert und keine Sekunde langweilig. Ein bisschen beschleicht einen allerdings schon das Gefühl, dass der iranische Filmemacher die ein oder andere falsche Abzweigung nimmt, manchmal zu plakativ wird. Mit dem immer wieder lustigen Vorlauf beißt sich auf jeden Fall die finale, Beklemmung auslösende Konfrontation im roten Bremslicht des Lieferwagens. Plötzlich kippt die Stimmung wieder ins Ernste und Bedrohliche. „Die Schattenjäger“, ein thematisch verwandtes Thriller-Drama, das im März 2025 in den deutschen Kinos leider unter dem Radar lief, ist im Vergleich stringenter und gehaltvoller – vor allem in der Art und Weise, wie der Schrecken des Foltertraumas vermittelt wird.

 

Christopher Diekhaus

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