Eine Frau mit berauschenden Talenten

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Zu Recht gilt Isabelle Huppert als eine der größten Schauspielerinnen des Weltkinos. In Komödien sieht man die glamouröse Denkerin und einstige Chabrol-Muse freilich eher selten. Mit Regisseur Jean-Paul Salomé lässt sich die Ikone des zeitgenössischen Autorenfilms bravourös auf dieses Genre ein. Als schillernde Drogendiva führt sie die Polizei an der Nase herum. Eine Paraderolle wie geschaffen für die faszinierende Darstellerin vielschichtiger Frauengestalten. Ein turbulentes Komödien-Highlight für ungezähmte Frauen, die sich ihre Unabhängigkeit in der Männerdomäne bewahren wollen.

Website: www.eine-frau-mit-berauschenden-talenten.de

Frankreich 2020
Regie: Jean-Paul Salomé
Drehbuch: Hannelore Cayre, Jean-Paul Salomé, Antoine Salomé
Kamera: Julien Hirsch
Schnitt: Valérie Deseine
Darsteller: Isabelle Huppert, Hippolyte Girardot, Farida Ouchani, Liliane Rovére, Jade Nadja Nguyen, Rachid Guellaz, Mourad Boudaoud, Iris Bry, Rebecca Marder, Youssef Sahraoui, Kamel Guenfoud
Länge: 104 Minuten
Verleih: Neue Visionen
Kinostart: 8. Oktober 2020

FILMKRITIK:

„Da vertickt eine Frau tonnenweise Shit in Paris“, tobt der ehrgeizige Leiter des Drogendezernats Philippe (Hippolyte Giradot) „und wir haben keine Ahnung wer das ist, Scheiße“. Das Ganze ist für den peniblen Fahnder umso peinlicher, da er gerade befördert wurde. Ahnungslos tappt die Polizei im Dunklen auf der Suche nach einem Phantom. Eine freilich sitzt direkt an der Quelle: Patience Pourtefeux (Isabelle Huppert), seine Geliebte. Rund um die Uhr übersetzt die selbstbewusste Dolmetscherin für Arabisch im Drogendezernat die abgehörten Telefonate aus der Szene. Selbst bei Razzien und Vernehmungen ist sie mit von der Partie. Massiv unterbezahlt hat Patience in ihrem Leben schon bessere Zeiten gesehen. Doch im Moment steht ihr das Wasser bis zum Hals. Mit der Miete für die chinesische Hausverwalterin Madame Colette Foo (Jade Nadja Nyguyen) ist die Mutter zweier Töchter massiv im Rückstand. Und das kostspielige Pflegeheim für ihre Mutter (Liliane Roveré) frisst den Rest ihrer kläglichen Finanzen. Zudem droht ihr die Leiterin des teuren Seniorenheims ihre Mutter zu entlassen, falls sie nicht mehr bezahlt.

Just in diesem Moment tut sich etwas in der observierten Szene. Eine riesige Ladung besten Haschisch ist auf dem Weg in die Stadt. Und am Steuer des Transporters sitzt kein Geringerer als der marokkanische Sohn der netten, hilfsbereiten Pflegerin Khadidja (Farida Ouchani) aus dem Altenheim. Als Patience das begreift, warnt sie die ahnungslose Mutter aus Mitgefühl spontan. Danach weiß die gewiefte Lady, obwohl sie mit dem pflichtbewussten Philippe liiert ist, was sie zu tun hat. Schließlich werden Drogen vom Herumliegen nicht besser und einer muss ja für den Umsatz sorgen.

Mit dem ausgedientem Polizeihund DNA macht sie die Ware ausfindig. Sie stürzt sich Hals über Kopf in das Abenteuer und mutiert zur „Drogenkönigin über Nacht“, die der Polizei immer einen Schritt voraus ist. Als Madame Ben Barka im eleganten Hijab trifft sie sich mit den beiden kleinen, lokalen Dealern Chopcapic und Scotch. Leider ist ihr jedoch nicht nur die Polizei auf den Fersen, sondern auch die stiernackigen, geprellten Cherkaoui-Brüder, die verzweifelt ihren verloren gegangenen Stoff suchen. Langsam wird es eng für Madame.

Mitreißend inszeniert Regisseur Jean-Paul Salomé seine Mischung aus Komödie und Thriller, die sich zum großartigen, gefühlsstarken Frauenporträt entwickelt. Das verdankt der ehemalige Präsident der UniFrance vor allem der Ikone des zeitgenössischen Autorenfilms Isabelle Huppert („Elle“), die längst einen Oscar verdient hätte. Mit ungeheurer Schlagfertigkeit behauptet sich die fragile, unabhängige Leinwandkämpferin in der Männerdomäne.

Und wenn die gebürtige Pariserin, am Schluss des Films, mit wehendem Haar auf einem eleganten italienischen Riva-Motorboot die marokkanische See durchschneidet, erinnert das einprägsame Bild an die letzte Szene des radikalen Kultfilms „Thelma und Louise“. Im Gegensatz zu Susan Sarandon und Geena Davis schwebt die gewitzte Heldin dieses französischen Schelmenstücks freilich nicht über dem Abgrund, sondern genießt den Fahrtwind in vollen Zügen. Und das ist zumindest ein Fortschritt in Sachen weiblicher Unabhängigkeit nach über einem Vierteljahrhundert.

Luitgard Koch