Der Fotograf Ernest Cole schrieb mit seinem Bildband „House of Bondage“ Geschichte und trug damit zur Veränderung der Verhältnisse in seiner Heimat Südafrika bei. Als erster Fotograf wagte er es, mit seinen Bildern die unmenschlichen Praktiken des südafrikanischen Apartheidsregimes zu dokumentieren und das Leid der Schwarzen Bevölkerung zu zeigen. Raoul Pecks Dokumentarfilm über Ernest Coles Leben und Werk setzt ganz auf die Kraft, die von Coles Bildern 35 Jahre nach seinem Tod immer noch ausgeht.
Webseite: https://salzgeber.de/ernestcole
Frankreich/USA 2024
Regie: Raoul Peck
Drehbuch: Ernest Cole, Raoul Peck
Mitwirkende: Lakeith Stanfield (Stimme Ernest Cole)
Kamera: Wolfgang Held, Moses Tau, Raoul Peck
Musik: Alexeï Aïgui
Länge: 106 Minuten
Verleih: Salzgeber
Start: 17. April 2025
FILMKRITIK:
Der auf Haiti geborene Filmemacher Raoul Peck sorgte mit seiner Dokumentation „I Am Not Your Negro“ über den Autor James Baldwin für Furore, die sogar für den Oscar nominiert wurde. Sein neuester Dokumentarfilm handelt von Ernest Cole, dem ersten freiberufliche Schwarzen Fotografen Südafrikas. Peck erzählt Coles Geschichte in dessen eigenen Worten, die aus Coles persönlichen Aufzeichnungen stammen. Über Gespräche mit Coles Kollegen, Freunden und Weggefährten und viele Originalquellen enthüllt sich die Tragik eines kurzen, ruhelosen Lebens. Cole war als Fotograf Autodidakt. Nachdem ein Priester ihm eine Kamera geschenkt hatte, brachte er sich die Grundlagen selber bei und belegte dann einen Fernkurs, um weiterzukommen. Während er als Assistent der Bildredaktion beim südafrikanischen „Drum Magazine“ sein Geld verdiente, begann er die Arbeit an seinem ersten großen Projekt: dem Bildband „House of Bondage“. Cole dokumentierte darin die Bösartigkeit des Apartheid-Regimes, die alltägliche Unterdrückung und die furchtbare Beiläufigkeit, mit der Grausamkeit gegenüber den unterdrückten Schwarzen ausgeübt wurde. 1966 erhielt er die Gelegenheit zu einer New-York-Reise, die er nutzte, um sein über Jahre hinweg entstandenes Material ins Ausland zu schmuggeln. Ein bekannter Verlag veröffentlichte Coles Arbeiten. „House of Bondage“ wurde ein Welterfolg, führte aber auch dazu, dass Cole nicht mehr nach Südafrika zurückkehren durfte. Seiner Heimat und damit seiner sozialen und künstlerischen Wurzeln beraubt, gelang es ihm nicht, in den USA Fuß zu fassen. Neue Projekte zerschlugen sich oder versandeten. Schließlich starb Cole 1990 vollkommen verarmt im Alter von nur 49 Jahren an Krebs.
Diesen Lebensweg zeichnet Raoul Peck anhand der beeindruckenden Fotografien Coles nach. Dabei beschränkt er sich nicht nur auf die Bilder, die Cole in Südafrika fotografiert hat, auch Aufnahmen, die in den USA entstanden, sind zu sehen. Praktisch alle seine Bilder zeigen den täglichen Rassismus, der damals auch in den USA zum Alltag der Menschen gehörte, und es wird klar, wie sehr Cole im amerikanischen Exil gelitten haben muss.
Er war ein außerordentlich guter Beobachter – und vielleicht war das einer der Gründe für die fotografische Meisterschaft von Cole. Hinzu kam seine außergewöhnliche Fähigkeit, genau den richtigen Moment zu erahnen, in dem er den Auslöser drücken musste, diese flüchtige Tausendstelsekunde, in der das Unnormale in einer scheinbar normalen Situation, der Schrecken im Alltag, sichtbar und überdeutlich wird. „Ich musste lernen, aus Augenhöhe zu fotografieren“, ist Coles lapidare Erklärung für sein Talent, zusätzlich genau den einen Blickwinkel zu finden, aus dem heraus die zugespitzte emotionale und soziale Krise einer Situation sichtbar wird.
Beeindruckend ist zudem, wie es dem Schauspieler Lakeith Stanfield, der Ernest Cole seine Stimme leiht, gelingt, das Publikum in den Bann zu ziehen. Stanfield findet die exakte Mischung aus Lakonie und Emotionalität und schafft so gleichzeitig Distanz und Nähe. Das Publikum nimmt Anteil, ohne überwältigt zu werden – was angesichts des tragischen Schicksals Coles ein Leichtes gewesen wäre.
Im Jahr 2017 wurden 60.000 Negative von Coles Fotografien im Tresor einer schwedischen Bank entdeckt. Niemand konnte bisher aufklären, wie die Negative dorthin gekommen sind und wer ihre Aufbewahrung finanziert hat. Raoul Peck berichtet von diesem ungelösten Geheimnis aus Coles Leben, ohne es zu kommentieren. Trotzdem fasst diese sarkastische Fußnote Pecks Filmerzählung perfekt zusammen: Über hundert Minuten ist zu sehen, wie ein herausragender Künstler nach Kräften seinen Beitrag geleistet hat, um die Welt zum Besseren zu verändern, nur um dann von seiner Heimat, seinen Wurzeln und seinem Werk entfremdet zu werden. Er selbst ist gestorben, sein Werk lebt weiter.
Gaby Sikorski