Exil

Exils
Frankreich 2004
Regie: Tony Gatlif
Darsteller: Romain Duris, Lubna Azabal
103 Minuten
Verleih: Arsenal
www.arsenalfilm.de

Wer ist momentan der aufregendste Schauspieler Frankreichs? Romain Duris. Bevor man in diesem Jahr „Der wilde Schlag meines Herzens“ kennen gelernt hat, drehte er mit Tony Gatlif mit „Exil“ ein berauschendes Roadmovie. Darin begibt sich ein junges Paar auf die Reise aus einer Pariser Vorstadtsiedlung nach Algerien, auf der Suche nach Antworten auf viele Familienfragen.

Die erste Einstellung in einem Film ist oft die wichtigste. Im günstigsten Fall verrät sie seinen Zuschauern, wohin die Reise in den nächsten eineinhalb bis zwei Stunden wohl gehen mag. Am Anfang von Tony Gatlifs „Exil“ sieht man nur einen muskulösen Männerrücken, die Kamera fährt langsam zurück und man erkennt einen jungen, nackten Mann, der aus dem Fenster seiner Plattenbauwohnung in die Ferne schaut. Dann dreht sich die Person und man weiß nicht so genau wohin man schauen sollte; entweder auf das Geschlechtsteil oder das schelmische grinsende Gesicht des besten Schauspielers, den Frankreich momentan anzubieten hat: Romain Duris. In „Exils“ heißt er Zano – seine Freundin Naima (Lubna Azabal). Beide entschließen spontan nach Algier zu reisen, in die Heimatstadt von Zanos Eltern, die seit seiner Kindheit tot sind. Doch die beiden Bohemians buchen weder Flug noch Auto, sondern machen sich mit wenig Gepäck und noch viel weniger Geld auf den Weg.

Tony Gatlifs Film konzentriert sich wie jedes gute Roadmovie auf die Themen Sehnsucht, Suche und Erfüllung. Seine beiden freigeistigen Endzwanziger sind keine naiven Kids auf europäischerem Interrailtrip, sondern entwurzelte und scheinbar erwachsene Pariser Vorstadtkinder, die in ihrer Familienvergangenheit nach Identität suchen. Als Schwarzfahrer bringt sie der Zug durch Andalusien, wo sie in schwülen Flamenco-Bars erste Bekanntschaften machen. Tagsüber freunden sie sich mit Zigeunern an, die sie mit Schlafplatz und Verpflegung umsorgen. Allerdings hat auch die Gastfreundlichkeit seinen Preis – am nächsten Morgen haben nämlich Zanos Stiefel ungefragt den Besitzer gewechselt.

„Exils“ ist dokumentarisches Kino, wie man es am ehesten vom brasilianischen Regisseur Walter Salles kennt. Tony Gatlif spürt in jeder Region – anfangs Südfrankreich, dann Andalusien, später Marokko und Algerien – den Lokalkolorit auf, filmt Konzerte, Feste und Bräuche, überall mit Passanten oder Laiendarstellern. Eine fesselnde Reise, die immer sinnlich ist und von seinen Begegnungen lebt. Zano und Naima sind die unkonventionellen Botschafter Europas, die sich auf ihrer Tour mit gebrandmarkten Nordafrikanern austauschen, während sie durch das vom Erdbeben erschütterte Algier laufen.

„Exils“ erzählt auch die Geschichte von Tony Gatlif, der in den Sechziger Jahren mit seiner Familie nach Frankreich auswanderte. Nach eigener Aussage hat er 43 Jahre gebraucht, um in die Heimat seiner Eltern zu fahren. In seiner Zeit in Frankreich hat er jedenfalls die goldene Regel des Französischen Films bestens verinnerlicht: Zeigt der Welt, dass wir die besten Liebhaber sind! Romain Duris und Naima Azabal dürfen sich in Orangenfeldern lieben, dass die Früchte von den Bäumen fallen. Dennoch: „Exils“ ein weiterer berauschender Beitrag zur Vielfältigkeit im europäischen Kino, und darin sind die Franzosen einfach klasse.

David Siems