Fabian oder Der Gang vor die Hunde

Der engagierte Regisseur Dominik Graf spielt gern nach eigenen Regeln. Das beweist auch seine Adaption von Erich Kästners 1931 erschienenem Berlin-Roman Sein meisterhaftes dreistündiges Sittengemälde der Weimarer Republik fasziniert nicht zuletzt mit atemlosem Formalismus. Historische Archivaufnahmen und Split-Screen-Bilder treffen auf schnell geschnittene Szenen, gedreht mit perfekt bewegter Kamera. Die Geschichte eines Moralisten, der auf den Sieg der Anständigen wartet, an den er selbst nicht mehr glaubt, schlägt geschickt Brücken zur Gegenwart. Hauptdarsteller Tom Schilling verkörpert den „Helden auf verlorenem Posten“ mit beeindruckender Präsenz.

Website: https://dcmworld.com/portfolio/fabian/

Deutschland 2021
Regie: Dominik Graf
Drehbuch: Dominik Graf, Constantin Lieb
Kamera: Hanno Lentz
Schnitt: Claudia Wolscht
Darsteller: Tom Schilling, Saskia Rosendahl, Albrecht Schuch, Meret Becker, Aljoscha Stadelmann, Michael Wittenborn, Anne Bennent.
Länge: 176 Minuten
Verleih: DCM
Kinostart: 5.8.2021

 

Über den Film

Originaltitel

Fabian oder Der Gang vor die Hunde

Deutscher Titel

Fabian oder Der Gang vor die Hunde

Produktionsland

DEU

Filmdauer

176 min

Produktionsjahr

2021

Produzent

von Boehm, Felix

Regisseur

Graf, Constantin

Verleih

Starttermin

04.08.2021

 

FILMKRITIK:


Berlin gegen Ende der Weimarer Republik. Die Stadt brodelt, das Leben oszilliert zwischen Vergnügungssucht und Resignation, in der Gesellschaft gärt es. Kriegstraumata, Arbeitslosigkeit, Depression und Sehnsucht nach Liebe. Jakob Fabian (Tom Schilling) arbeitet eher erfolglos in der Werbeabteilung eines Zigarettenherstellers. Der Germanist will eigentlich Schriftsteller werden. Stattdessen schreibt er Zigarettenreklame. Nicht zuletzt deshalb hadert er mit sich selbst.

Seine Nächte sind chaotisch. Und sie spucken ihn am Morgen wieder vor seinem möblierten Zimmer in der Schaperstraße aus. Eines Abends trifft er im Berliner Nachtleben die selbstbewusste Cornelia von Battenberg (Saskia Rosendahl), „Ich bin fünfundzwanzig Jahre alt, und von zwei Männern wurde ich stehen gelassen. Stehengelassen wie ein Schirm, den man absichtlich irgendwo vergisst“, gesteht sie ihm. „Stört Sie meine Offenheit?“, will die junge Frau von ihm wissen. Für Fabian ist sie die Liebes seines Lebens. Er fühlt sich herausgefordert.

Die großartige Liebesgeschichte zwischen ihr und Fabian steht im Mittelpunkt des Films. Gemeinsam mit ihr und seinem wohlhabenden Freund Labude (Albrecht Schuch) stürzen sich die drei in die letzten Jahre der Weimarer Republik. Der Millionärssohn und Kommunist Labude träumt von einer Revolution der Klassen. Gleichzeitig schreibt der Sohn eines erfolgreichen Anwalts fünf Jahre lang an seiner Dissertation über das Werk Lessings. Und traut sich nicht sie endlich seinem Professor abzugeben. Er ist reich, aber unglücklich. Seine Verlobte hat ihn kurz vor der Hochzeit betrogen. Sein Vater betrügt die Mutter mit einer jungen Geliebten, die ebenfalls hintergeht.

„Im großen Buch der Liebe steht links geschrieben, wer wen zuerst verlässt“, sagt Labude lapidar. Es funktioniert ziemlich gut, wie Dominick Graf für seine Protagonisten immer wieder Kästner-Sätze ins Drehbuch einbaut. Und auch die Erzählerstimmen aus dem Off wirken nicht aufgesetzt. Es ist schlussendlich Cornelia, die sich entfernt. Als Justiziarin einer Filmproduktionsfirma lässt sie sich von ihrem alten Chef umgarnen. Filmproduzent Markart (Aljoscha Stadelmann) lockt sie mit dem Versprechen einer Karriere als Schauspielerin. Dem arbeitslosen Fabian versucht sie das Ganze pragmatisch als Existenzsicherung zu verkaufen, von der auch er profitiert. Doch damit kann er sich nicht arrangieren.

Für ihn hat sie sich damit ans große Geld verkauft. Ihre zerbrechliche Liebesgeschichte bekommt Risse. Der gebürtige Ostberliner Tom Schilling überzeugt als Fabian in jeder Minute. Verletzlich, abgeklärt, mit einer Neugier aufs Leben, aber gleichzeitig vom Zweifel beherrscht. Der 39jährige knüpft mühelos an seine Paraderolle in der wunderbaren Tragikomödie „Oh Boy“ an. Ein Melancholiker, desinteressiert an Macht und Geld, leidend daran, nicht anders zu können. Ein Moralist, dessen angestammter Platz, so Kästner, immer der verlorene Posten ist und dessen Wahlspruch „Dennoch“ ist.

Der vielfache Grimmepreisträger Dominik Graf und sein Kameramann Hanno Lentz verführen mit unerwarteten Nahaufnahmen und fiebrigen Bildern, die zwischen Stummfilmästhetik, Schnittgewittern, Handkameragewackel und klassischen Dialogszenen wechseln. Voller Energie, mit emotionaler Kraft zeigt Graf den Klassiker der deutschen Literatur als scharfsinnige Avantgarde. Dem „Völkischen Beobachter“ galt Erich Kästners „Fabian“ als „Sudelroman“. Als die Bücher brannten auf dem Berliner Opernplatz, da brannte „Fabian“ ganz oben auf. Das Schlussbild erinnert daran.

Luitgard Koch

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