Familiye

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Neben der großen Karriere gibt Moritz Bleibtreu bisweilen gern den Paten für kleines, rigoroses Kino. Einst stand er für Özgür Yildirims rabiates Debüt „Chiko“ vor der Kamera. Aktuell unterstützt er mit Produzenten-Status einen gleichfalls kantig kühnen Genre-Film im Gangster-Milieu. Drei Brüder versuchen im Kiez von Berlin zu überleben. Mit Spielschulden, knallharten Geldeintreibern sowie kleinkarierten Bürokraten im Nacken, ist das (Über-)Leben im Großstadt-Dschungel jedoch kein Zuckerschlecken. Das Spielfilmdebüt überzeugt durch kompromisslose Erzählform, charismatische Darsteller samt atmosphärisch starker Schwarz-Weiß-Bilder. „Der Film ist nicht perfekt. Aber er ist echt.“ schwärmt Bleibtreu über sein pampiges Genre-Baby. Das Publikum beim Filmfestival Oldenburg krönte das Werk mit dem „Independence Award“. Mehr Street-Cred wird man im deutschen Kino kaum finden.

Webseite: www.facebook.com/Familiye

D 2017
Regie: Kubilay Sarikaya, Sedat Kirtan
Darsteller: Kubilay Sarikaya, Sedat Kirtan, Violetta Schurawlow, Muhammed Kirtan, Arnel Taci
Filmlänge: 93 Minuten
Verleih: Koryphäen Film GmbH
Kinostart: 5. Mai 2018

AUSZEICHNUNGEN/PREISE:

Oldenburg Filmfestival: German Independence Award - Audience Award

FILMKRITIK:

„Wenn es regnet, wirst du nass!“ - solche Banalitäten werden in eitleren Ganovenkreisen gerne salbungsvoll als besonders bedeutsame Philosophie gepredigt. Zum chronisch coolen Getue gehört gleichfalls die „Digger“, „Bruder“ und „Alda“-Endlosschleife in den Dialogen der Möchtegern-Machos. Vor allem aber jenes ewige „Respekt“-Gedöns, mit dem sich absolut alle, auch noch so asozialen Aktivitäten rechtfertigen lassen.  
 
In diesem kleinen Gangster-Kosmos im Berliner Kiez von Spandau haben sich die drei Brüder Danyal, Miko und Muhammed mehr schlecht als recht eingerichtet. Danyal (Kubilay Sarikaya, zugleich Regisseur), der älteste, kommt gerade aus dem Gefängnis frei. Für viel Kohle hat er fünf Jahre lang den Knast für einen anderen abgesessen. Schockiert stellt er bei seiner Rückkehr fest, dass der spielsüchtige Miko (Arnel Taci) nicht nur das ganze Geld verzockt, sondern massive Schulden angehäuft hat. Immerhin hat sich der ewige Versager liebevoll um den mit Downsyndrom geborenen Muhammed (Muhammed Kirtan) gekümmert hat. Allerdings hat Miko den Sachbearbeiter vom Sozialamt ziemlich vernachlässigt. Weswegen Muhammed nun in ein Heim eingewiesen werden soll - was die Brüder verzweifelt verhindern wollen.
 
Entschlossen will Danyal ein bisschen Ordnung in das Familien-Chaos bringen. Mit viel Geschick kann er die bedrohlichen Geldeintreiber besänftigen. Dank guter Verbindungen kann er dem kleinen Bruder einen Job besorgen - und auch dessen ewiges Geschwätz von „Respekt“ lässt er wie eine Seifenblase an der Realität zerplatzen. Nur die neue Junkie-Mitbewohnerin er noch unbedingt loswerden.
 
Das Regie-Duo Kubilay Sarikaya und Sedat Kirtan kennt sich spürbar aus im Milieu, von dem sie erzählen. Der eine ist gelernter Personenschützer, der andere Sozialarbeiter - wer braucht da noch eine Filmhochschule? Wie ihre Figuren leben die beiden Deutschkurden im Kiez von Berlin Spandau, kennen die Lynarstraße mit ihren Wettbüros und Spielcasinos wie ihre Westentasche - nicht umsonst heißt es im Vorspann „Nach wahren Begebenheiten“. Mehr Street-Cred wird man im deutschen Kino kaum finden.
 
In ihr Projekt hat das Duo mehr als acht Jahre Zeit sowie reichlich Herzblut investiert. Die Besetzung wurde vorzugsweise aus dem Bekanntenkreis rekrutiert. Weil ein geplanter Darsteller wegen Gefängnisaufenthalt ausfiel, spielt Regisseur Sarikaya den Danyal kurzerhand selbst. Die Rolle des behinderten Muhammed gibt der Bruder von Regisseurs Kirtan. Als charismatischer Versager im Brüder-Trio tritt Arnel Taci („Türkisch für Anfänger“) auf. Rapper Xatar gibt sich gleichfalls die Ehre. Zusammen mit Haftbefehl steuert er zudem den Soundtrack bei. Last not least brachte er seinen Kumpel Moritz Bleibtreu als Produzent ins Boot.
 
Klar hat dieser kleine, dreckige Milieu-Krimi reichlich Macken. Zu viele Klischees. Zu wenig Dramaturgie. Zu flache Figuren. Zu schlichte Lovestory. Das Genre freilich entschuldigt vieles. Zumal die Haben-Seite gut gepolstert ausfällt. Von der vibrierenden film-noir-Energie. Über den atmosphärisch dichten, spürbar authentischen Realismus. Bis zum exzellenten visuellen Stil.      
 
Jung-Produzent Bleibtreu stellt seinen Jung-Filmern dieses Arbeitszeugnis aus: „Der Film ist nicht perfekt. Aber er ist echt. Er erzählt von der Ausweglosigkeit, in die man in Deutschland hineingeboren werden kann."
 
Dieter Oßwald