First Position – Ballett ist ihr Leben

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Es muss nicht immer Wenders sein, wenn es um Dokumentarfilm und Ballett geht. In ihrem grandiosen Kinodebüt begleitet Bess Kargman eine Handvoll Teenager, die den großen Ballett-Traum ihres Lebens verwirklichen wollen. Um ein begehrtes Stipendium zu bekommen, müssen sie gegen 5.000 Konkurrenten bei einem renommierten Wettbewerb antreten. Sensibel, unaufdringlich und dennoch mitreißend zeichnet der Film die Porträts dieser höchst unterschiedlichen Ausnahme-Talente. „Black Swan“ meets „Billy Elliot“ - zugleich eine elegante Ohrfeige für das lärmende TV-Superstar-Getöse von Bohlen und Co. Die (Publikums-)Preise auf diversen Festivals sowie mehr als 90 Prozent Zustimmung auf dem Kritiker-Portal „Rotten Tomatoes“ deuten beim Zuschauer-Zuspruch auf eine prima Position.

Webseite: www.first-position-film.de

USA 2011
Regie: Bess Kargman
Darsteller: Aran Bell, Rebecca Houseknecht, Joan Sebastian Zamora, Miko Fogarty, Jules Jarvis Fogarty, Gaya Bommer Yemini, Michaele Deprince
Filmlänge: 94 Minuten
Verleih: Ascot Elite / 24 Bilder
Kinostart: 4.7. 2013

PRESSESTIMMEN:

„Absolut überzeugend. Mit aufregenden, wunderbaren Tanz-Variationen, dargestellt von den Ballett-Stars von morgen!“
VARIETY

"5.000 tanzende Teenager aus der ganzen Welt treffen sich jedes Jahr beim "Youth America Grand Prix", einem der größten und renommiertesten Ballett-Wettbewerbe der Welt. Hier wird über die Ballett-Stars von morgen entschieden. Denn nur die Besten erhalten Stipendien oder Verträge bei renommierten Ballettkompanien. Der Weg dorthin führt über blutige Füße, schmerzende Glieder, gnadenlose Disziplin und vielleicht sogar über den Verlust der Kindheit. Die Regisseurin Bess Kargman begleitet in ihrem preisgekrönten Dokumentarfilm "First Position" sechs junge Tänzer auf dem Weg zu diesem Wettbewerb."
ARD - Titel Thesen Temperamente


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FILMKRITIK:

„Als Junge ins Ballett zu gehen, ist sehr ungewöhnlich in unserem Land“, erzählt die Mutter aus Kolumbien. Weil sie einst selbst so gerne Ballerina gewesen wäre, jedoch nur Söhne statt der gewünschten Töchter bekam, wagt sie den mutigen Schritt und schickt ihren Joan Sebastian zum Unterricht. Der Junge hat enormes Talent und sichtlich Spaß am Ballett. Mit 16 Jahren verlässt er sein Heimatdorf und hofft im fernen Amerika auf die Karriere. Einmal zu tanzen wie der kubanische Star Carlos Acosta ist sein Traum, das Royal Ballet in London die große Hoffnung. Der einzige Weg dorthin führt über den „Youth America Grand Prix“, nur wer diesen Wettbewerb gewinnt, kann auf Stipendien hoffen sowie die Entdeckung durch renommierte Lehrer. Die Konkurrenz ist enorm, über 5.000 Bewerber hoffen auf den Durchbruch. Beim Finale in New York gehen 100 Kandidaten ins Rennen, 30 Glückliche werden es schließlich schaffen.

Die Kamera begleitet ein Sextett der ehrgeizigen Hoffnungsträger bei diesem Parcours voller Hoffnung und Niederlagen. Beim täglichen Training gehen die jungen Tänzer bis an ihre Grenzen, und darüber hinaus. „Wir verletzen uns jeden Tag, jeder andere Sport ist ungefährlicher“, stöhnt eine junge Elevin und zeigt ihre geschundenen Füße und gebeutelten Glieder. Die 14-jährige Michaela hat zudem andere Problemen, „jeder weiß, dass schwarze Mädchen nicht Ballett tanzen können“, klagt sie. Die Kriegswaise aus Sierra Leone wurde als Kleinkind von einem amerikanischen Paar adoptiert, das sie überhaupt überlebte, grenzt an ein Wunder. Mit enormer Willensstärke strebt sie nun nach Perfektion im Tüllrock. Sehr viel besser meinte es das Schicksal mit der 17-jährigen Rebecca aus vornehmem Haus, eine blonde Tanzprinzessin, die sich allenfalls gegen ihren Spitznamen „Barbie“ erwehren muss. Am unbeschwertesten zieht der 11-jährige Aran die Ballettschuhe an. Während andere ihre Patzer an den Rand der Verzweiflung bringen, dreht Aran mit scheinbarer Leichtigkeit seine perfekten Pirouetten. Als echtes Naturtalent kann er sich neben dem Training auch noch etwas Spaß auf dem Skateboard gönnen.

Neben den Kids kümmert sich die Doku auch um deren Trainer und die Eltern. Die einen nehmen es recht gelassen, die anderen erweisen sich als überehrgeizig und könnten geradezu aus „Little Miss Sunshine“ entsprungen sein. Als cleverer Schachzug erweist sich, dass die Regisseurin auf eine belehrende Erzählerstimme komplett verzichtet und stattdessen mit kurzen Texteinblendungen für die notwendigen Informationen sorgt. Durch diese bewusste Zurückhaltung ergibt sich ein packendes Paradebeispiel teilnehmender Beobachtung, bei der die Akteure allein für sich sprechen und damit eine Atmosphäre des Authentischen vermitteln. Diese Versuchsanordnung funktioniert vor allem durch zwei entscheidende Faktoren so überzeugend: Zum einen dank der fesselnden und facettenreichen Figuren, zum anderen durch die eigene Ballett-Erfahrung der Regisseurin, die sich in diesem Kosmos bestens auskennt. Bei aller Behutsamkeit ist die Filmemacherin mit ihrer Kamera stets mittendrin statt nur dabei und sorgt so durchweg für dramaturgische Spannung.

Als besonderes Bonbon gibt es zum Schluss eine Preisverleihung mit Überraschungen: Ein Finale mit Gänsehautfaktor - das perfekte Ende für eine mitreißend charmante Dokumentation, an der auch eine Pina Bausch wohl ihre Freunde gehabt hätte.

Dieter Oßwald

Ballett ist eine Kunstform, die einerseits ästhetisch ist und die andererseits größte Selbstbeherrschung verlangt. Jahrelange Kraftanstrengung ist nötig, um zu einem vollendeten Ergebnis zu gelangen. Klassisches Ballett wird auch im „modernen“ Digitalzeitalter sowie in der heutigen Disco- und Spaßgesellschaft immer ein künstlerischer Höhepunkt bleiben.

Alljährlich werden im sogenannten „Youth America Grand Prix“ die besten Kinder und Jugendlichen aus aller Welt ausgesucht. Zuerst sind es hunderte, die sich bewerben, übrig bleiben wenige. Die aber können mit vielversprechenden Stipendien und Verträgen bei großen Ballettschulen und –ensembles rechnen. In fünf europäischen und zwölf amerikanischen Städten finden die Vorwettbewerbe statt.

In lebensnaher und einprägsamer Weise folgt dieser Dokumentarfilm einem halben Dutzend Kandidaten . . .

. . . Miko etwa, zur Zeit der Entstehung des Films etwa 14 Jahre alt. Zuerst war es die (japanische) Mutter, die das Mädchen drängte, dann aber kam doch die Liebe zur Kunst. Und vor allem die Belohnung für all die Mühen (vier bis fünf Stunden Training am Tag). Miko brachte es denn auch bereits zu Ehrungen und Preisen.

Ihr kleinerer Bruder Jules sollte, wenn es nach der Mutter gegangen wäre, ebenfalls Tänzer werden. Er wurde es nicht. Er hatte keine Lust.

Anders bei dem etwa 20jährigen Joan Sebastian Zamora. Mit Durchhaltevermögen hat er den Sprung von einem kolumbianischen Dorf nach New York geschafft. Er ist dazu äußerst talentiert, und das hat sich bereits ausgezahlt. Mit einem reichhaltigen Stipendium studiert er heute an der berühmten Londoner Royal Ballett School.

Oder Michaela DePrince. Sie ist ein amerikanisches Adoptivkind, aus einem afrikanischen Bürgerkriegsland stammend. Es gab lange Zeit das Vorurteil, dass nämlich schwarze Frauen wegen ihres Körperbaus keine guten Balletttänzerinnen sein könnten. Michaela hat das Gegenteil bewiesen. Und wie!

Rebecca Houseknecht wird in dem Film ebenfalls vorgestellt. Sie ist eine besonders schöne junge Frau und von ihrem Körper her für das Ballett wie geschaffen. Doch wählte sie schließlich einen anderen Hauptberuf. Häufig und leidenschaftlich tanzt sie nur noch in ihrer Freizeit.

Schließlich der Begabteste: Aran Bell, elf Jahre. Eine Art Tanz-Wunderkind. Ein Fall, der selten vorkommt. Es ist ein Genuss, ihm zuzusehen. Er hat, wenn nichts passiert - eine schwere Verletzung etwa -, sicherlich eine große Karriere vor sich.

Die Mühen des Trainings und der Proben, die Verletzungen, die Ängste der Eltern, das Lampenfieber, das Zittern vor der möglichen oder gescheiterten Auswahl bei den Vorentscheiden, die von den Eltern gebrachten (finanziell sehr teuren) Opfer, das Leben außerhalb des Balletts, die Reisen, die Backstage-Atmosphäre, die ausschlaggebenden Darbietungen der Kandidaten – all das wird erlebnisreich und anschaulich geboten.

Es ist ein schöner Film, der eine ganz spezielle Welt zeigt. Es ist zudem ein Film, der berührt und erfreut.

Thomas Engel