Fish Tank

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Viel Beifall und Beachtung fand Andrea Arnolds Sozialdrama „Fish Tank“ bereits bei den letztjährigen Filmfestspielen von Cannes, wo es mit dem „Großen Preis der Jury“ ausgezeichnet wurde. In einer tristen Hochhaussiedlung und ohne echte Perspektive wächst die 15-jährige Mia auf. Als sich der rebellische Teenager in den neuen Freund der Mutter verliebt, bleibt das nicht ohne Folgen. Neuentdeckung Katie Jarvis ist dank ihrer Präsenz der emotionale Dreh- und Angelpunkt dieser feinen britischen Produktion.

Webseite: www.koolfilm.de

UK 2009
Regie & Drehbuch: Andrea Arnold
Darsteller: Katie Jarvis, Michael Fassbender, Kierston Wareing, Rebecca Griffith, Harry Treadaway
Laufzeit: 122 Minuten
Verleih: Kool
Kinostart: 23.9.2010
 

PRESSESTIMMEN:

Trist, trister, englische Suburbs: In ihrem Film "Fish Tank" erzählt die britische Regisseurin Andrea Arnold kühl und unsentimental vom Schicksal einer 15-Jährigen in einem beklemmenden Sozial-Ghetto. Laien-Darstellerin Katie Jarvis beeindruckt als rotzfreche, aber feinnervige Göre.
SPIEGEL ONLINE

FILMKRITIK:

Für Mia (Katie Jarvis) hält der Alltag in einer tristen Sozialsiedlung kaum Höhepunkte bereit. Der Teenager kämpf mit sich, seiner oftmals wechselnden Gefühlslage und gegen alle anderen. Eine Schule besucht sie schon länger nicht mehr. Wer Streit sucht, der muss auf diesen bei Mia nicht lange warten. Und doch ist die 15-jährige kein gefühlskalter Eisklotz. Sie hat Wünsche und Ziele. Das Tanzen zum Beispiel, das lässt sie für kurze Zeit ihre Probleme vergessen. Wie es in ihr aussieht, was sie bewegt, dafür interessiert sich niemand so wirklich. Auch nicht ihre Mutter (Kierston Wareing), die sich lieber mit wechselnden Männern die Zeit vertreibt.

Einer von ihnen steht an einem heißen Sommertag plötzlich halbnackt in der Küche. Connor (Michael Fassbender) ist der neue Freund von Mias Mutter und so ganz anders als deren frühere Liebhaber. Er hat Humor, ist cool, charmant und aufmerksam. Mia fühlt sich gleich zu ihm hingezogen. Seine Ausstrahlung und selbstsicheres Auftreten lösen in ihr etwas aus, das sie sich zunächst nicht eingestehen will. Sie ist verliebt. Vor allem aber nimmt er sie Ernst. Er interessiert sich für ihr Leben und das nicht aus bloßer Höflichkeit. Schließlich kommen sich beide näher.

Manche Wege, die „Fish Tank“ im Verlauf seiner 122 Minuten nimmt, scheinen lange vorgezeichnet, andere wiederum entstehen praktisch aus dem Nichts. Das verleiht dieser realistischen, von falscher Sozialromantik glücklicherweise befreiten Milieustudie eine bis zum Schluss authentische Lebendigkeit und Spannung. Die Orte, an denen Filmemacherin Andrea Arnold ihre Kamera aufschlägt, erzählen ihre eigenen Geschichten. Es sind triste Sozialbauten, zum Teil gar leere Wohnungen, in denen die Perspektivlosigkeit von jungen Familien und alleinerziehenden Müttern zu Hause ist. Es ist ein Blick wie aus einem Aquarium, den Mia auf die Welt hat und der ihren Wunsch, bei einem Tanz-Casting teilzunehmen, zusätzlich befeuert.

Doch Arnold belässt es nicht bei einer Bestandsaufnahme des Status Quo. Ihr „Fish Tank“ ist weit mehr als ein Ausflug in die Wirklichkeit der britischen Under Class, es ist zugleich auch ein Ausflug in das Leben eines rebellierenden Teenagers, einer heranwachsenden jungen Frau. Der Film portraitiert Mia mit all ihren Widersprüchen und Fehlern. Mal sucht sie die Freiheit, die Emanzipation von ihrem chaotischen Zuhause – das Tanzen ist ihre Form, diesen Impuls auszudrücken –, dann wieder flüchtet sie genau dorthin zurück. Sich nichts Gefallen lassen, nach außen hin Stärke demonstrieren, auch wenn es in einem ganz anders aussieht, zwischen diesen Gegensätzen eines Teenager-Lebens bewegt sich Mia und mir ihr Arnolds couragierter Film, in dem ein „I hate You“ nicht immer wörtlich zu verstehen ist.

Die Newcomerin Katie Jarvis gibt hier ihr Filmdebüt. Von Arnold wurde sie durch Zufall auf der Straße entdeckt, als sie sich angeblich lautstark mit ihrem Freund stritt – für die Rolle in „Fish Tank“ keine schlechte Vorbereitung. Jarvis verkörpert Mia mit unbändiger Energie und Hingabe. Man hat sofort das Gefühl, dass sie weiß, was sie da spielt. Ihre Souveränität wird lediglich noch von ihrer Präsenz übertroffen. Gegen ihre Mia hat es selbst ein gestandener Schauspieler wie Michael Fassbender schwer. Schon allein um diese Rotzgöre in Aktion zu erleben, lohnt ein Besuch von „Fish Tank“.

Marcus Wessel

Die Engländerin Mia, unweit Londons in Essex irgendwo an der Themse lebend, ist um die 16, 17. Mit der Schule hat sie’s nicht. Lieber stromert sie herum. Für einen Streit braucht es bei ihr nicht viel: mit den gleichaltrigen Mädchen, mit den drei Brüdern, die Mias Meinung nach ihrem Pferd zu wenig Freiraum lassen, mit ihrer kleinen Schwester Tyler, mit ihrer Mutter Joanne.

Die allerdings zeigt sich nicht gerade als mustergültige Mutter. Sie flirtet, tanzt und trinkt lieber.

Eines Tages steht Connor in der Küche. Er ist Joannes neuer Liebhaber. Er verschwindet jedoch immer wieder auf geheimnisvolle Weise. Für die Nöte, Schwankungen und Exzesse der pubertären Mia hat er mehr Verständnis als die Mutter. Irgendwann wird die Nähe total.

Mia sucht hinter Connors Mysterium zu kommen. Er ist verheiratet, hat eine kleine Tochter. Im Zorn lässt Mia sich hinreißen, die Kleine beinahe ertrinken zu lassen.

Dann tritt etwas mehr Besinnung ein. Mia reißt sich von zuhause los. Vielleicht gelingt das Erwachsenenleben mit dem Freund, mit dem sie davon fährt.

Regisseurin Andrea Arnold ist Oscar-Preisträgerin. Sie ist aber vor allem eine, die sich in das Gefühlsleben, den rebellischen Charakter, in die „Ups and Downs“ der halbwüchsigen Mia gut hineindenken konnte. Dieser Lebensabschnitt des Mädchens ist denn auch das Herzstück des Films. Die von der Straße weg gecastete Katie Jarvis geht in der Rolle voll und ganz auf. Beachtlich auch, wie der echte Kerl Connor (Michael Fassbender) feinfühlig vorgeht. Kierston Wareing als Mutter hat es da leichter. Schon wie sie ausstaffiert ist, kann sie den Halbvamp noch besser spielen.

Weiter beachten sollte man auch Rebecca Griffith als Tyler. Die kleine Göre agiert sehr echt.

Preise gab es schon genug: Preis der Jury Cannes 2009,Katie Jarvis beste Darstellerin Edinburgh 2009, Outstanding British Film BAFTA 2010.

Der in seiner Authentizität glaubhaft geratene, dramatische Pubertätslebensabschnitt der 16jährigen Mia. Gekonnt.

Thomas Engel