Agnieszka Holland, eine der letzten großen europäischen Regie-Ikonen, hat aus Franz Kafkas kurzem und bewegten Leben eine Biografie gemacht, die an eine Wundertüte erinnert: In jeder Ecke warten kleine Überraschungen, echte Aha-Momente und ungewöhnliche Bilder. Das ist nicht nur sehr unterhaltsam, sondern passt auch intellektuell und visuell zu Kafka, der zwar ein relativ schmales Werk hinterließ, der aber mit seinem unverwechselbaren Stil, seinen teils rätselhaften, oft erschreckenden und zur Interpretation einladenden Texten und mit seiner nahezu furchterregend präzisen Sprache Generationen von Schreibenden beeinflusst hat.
Über den Film
Originaltitel
Franz
Deutscher Titel
Franz K.
Produktionsland
IRL,CZE
Filmdauer
90 min
Produktionsjahr
2025
Regisseur
Holland, Agnieszka
Verleih
X Verleih AG
Starttermin
23.10.2025
Schon der junge Franz ist von Sprache und Sprachen ebenso fasziniert wie von Bildern. Er sieht und hört, was andere nicht sehen und hören können. Seine Wahrnehmung ist deutlich ausgeprägter als die seiner Umgebung – heute würde man ihn als hypersensibel bezeichnen. Hinzu kommt ein gewisser Sinn für absurden Humor, der manchmal etwas Zerstörerisches hat. Der zarte, schmale Junge ist das jüngste Kind einer jüdischen Kaufmannsfamilie in Prag, die der deutschsprachigen Minderheit angehört. Er wächst im tschechisch-jiddisch-deutschen Sprachgewirr auf, beherrscht alle drei Sprachen und wird ein Intellektueller mit einem Doktortitel in Jura – trotz aller Versuche seines übermächtigen, autoritären Vaters ihn zu einer kaufmännischen Karriere zu bewegen. Der großartige Peter Kurth spielt ihn als despotischen, cholerischen Patriarchen, der seinen Sohn dennoch irgendwie liebt. Der Junge lässt sich zwar vom Vater herumkujonieren, aber er geht seinen eigenen Weg, wobei ihn seine drei Schwestern, besonders Ottla (Katharina Stark), die jüngste von ihnen, und seine Mutter mehr oder weniger diskret unterstützen. Er schreibt schon als Schüler, während seines Studiums lernt Franz, nunmehr als Erwachsener mit zerbrechlichem Charme gespielt von Idan Weiss, seinen Freund Max Brod (Sebastian Schwarz) kennen, der – selbst Schriftsteller – dafür sorgt, dass Kafkas Werke gegen seinen ausdrücklichen Willen nicht verbrannt wurden, sondern erhalten blieben.
Agnieszka Holland thematisiert in kurzen, einprägsamen Szenen Kafkas Kindheit und Jugend, doch aus der scheinbar eindeutigen Chronologie des Anfangs entwickelt sich ein bald beinahe spielerischer Wechsel zwischen Zeiten und Räumen – in voller Absicht werden hier, und zwar durchaus wirkungsvoll, filmische Gesetze auf den Kopf gestellt. Es gibt Rückblenden, Vorblenden und Einblendungen wie zum Beispiel die szenische Gestaltung der furchterregenden Geschichte „Im Straflager“, die Kafka 1914 schrieb und die 1919 veröffentlicht wurde. Dazu wird immer häufiger die Marke Franz Kafka vorgestellt und ad absurdum geführt. Fiktive Stadtführungen in und um Prag, ein angebliches Kafka-Museum in einer ehemaligen Behörde, ein Restaurant, das Kafka-Burger nach einem 100-jährigen Rezept anbietet (er war Vegetarier) und vieles mehr zeigen explizit und in wunderbarer Übertreibung, wie aus dem schmächtigen Jungen eine überlebensgroße Autorenfigur wurde, wobei die elf Meter hohe und in sich bewegliche stählerne Büste des Schriftstellers echt ist – ein ebenso zur Betrachtung wie zur Interpretation einladendes Kunstwerk.
Und das gilt auch für Agnieszka Hollands Film, der gleichzeitig wuchtig und leicht ist in seiner manchmal spielerischen, manchmal expressionistischen Bildsprache und der sich einer konkreten Genre-Einordnung ebenso verweigert wie einer endgültigen Deutung oder gar Beurteilung von Kafkas Werken. Vielleicht genügt es ja auch, dass sich die Literaturkritik und die Germanistik seit mehr als 100 Jahren an ihm abarbeitet. Stattdessen serviert Agnieszka Holland in kleinen Portionen ein wenig kafkaesken Humor, zum Beispiel, wenn es um das Verhältnis des Dichters zu Frauen geht und seine Schwester wie in einem Interview die Beziehung zwischen ihrem Bruder und seiner Verlobten kommentiert. Oder wenn Kafka schreibt und sich dabei von fremden Augen beobachtet fühlt, die sich schließlich als Augen von Touristen der Gegenwart erweisen, wenn sie durch Gucklöcher in sein (angebliches) Arbeitszimmer schauen. Neugierige Blicke aus der Zukunft auf einen rätselhaften Autor. Als hätte er’s geahnt…
Tatsächlich macht der Film mit seinen eleganten Zeitsprüngen und seinen überraschenden Einblicken sehr viel Spaß. Und wenn man darauf aus ist, hilft er vielleicht dabei, Kafka selbst zu verstehen, zumindest aber könnte er es erleichtern, einen Zugang zu ihm und seinen Werken zu finden. Obwohl Rätsel und Mysterien, besonders in diesem Falle, etwas durchaus Faszinierendes haben können.
Gaby Sikorski