„Friedas Fall“ schildert die wahren Vorkommnisse um den Prozess der Kindsmörderin Frieda Keller, der Anfang des 20. Jahrhunderts die Schweiz erschütterte. Diese ebenso tragische wie komplexe Geschichte hinterfragt die Stellung der Frau in der damaligen Gesellschaft und den Umgang mit Recht und Gerechtigkeit. Der kontrolliert erzählte, stark gespielte Mix aus Historienfilm und Gerichtsdrama beeindruckt mit der ungeschliffenen Authentizität seiner Figuren und einer unaufdringlichen, aber dennoch absichtsvollen Inszenierung.
Über den Film
Originaltitel
Frieda’s Case
Deutscher Titel
Friedas Fall
Produktionsland
CHE
Filmdauer
107 min
Produktionsjahr
2024
Regisseur
Brendle, Maria
Verleih
Arsenal Filmverleih GmbH
Starttermin
01.01.1972
1904 wird im Wald bei St. Gallen die Leiche eines kleinen Kindes gefunden – es ist Frieda Kellers (Julia Buchmann) Sohn Ernstli. Die 25-jährige Näherin gibt den Mord zu, obwohl ihre Motive im Dunkeln bleiben. Schon bald entbrennt ein politischer und moralischer Kampf, der die Gemüter des Ortes erhitzt und in der gesamten Schweiz für Schlagzeilen sorgt. Auf der einen Seite steht Staatsanwalt Walter Gmür (Stefan Merki), der an Frieda ein Exempel statuieren will. Ihm gegenüber steht Friedas Verteidiger Arnold Janggen (Maximilian Simonischek), der sich für die Angeklagte einsetzt und die gesellschaftlichen Aspekte, für die Gmür kein Interesse zeigt, berücksichtigt. Der historische Prozess befeuert die Frauenrechtsbewegung in der Schweiz und rückt die Unterdrückung der Frau ins Zentrum des öffentlichen Interesses.
In ihrem ersten Langfilm lotet Maria Brendle die komplexe Frage nach Täter und Opfer in einem von Männern geschaffenen und dominierten Rechtssystem aus. Wobei sich die Missachtung der Frauenrechte und die Ungleichbehandlung durch alle Schichten zieht und in banalen Alltagssituationen manifestiert, das macht „Friedas Fall“ schon sehr früh klar. Das Patriarchat und die „Dominanz des Mannes“ sind unerschütterlicher Teil des Werte- und Glaubenssystems vieler. Und dies spiegelt sich eben nicht nur im Denken wider, sondern offenbart sich allen voran in den Äußerungen und Handlungen der Menschen.
So sieht sich Frieda einer unmenschlichen Behandlung im Gefängnis ausgesetzt und die Menschen haben ohnehin ihr Urteil („Wolf im Schafspelz“, „Kindsmörderin vom Hagenbuchwald“) bereits gefällt. Die Hintergründe der Tat und wie es überhaupt zur Schwangerschaft kam? Es interessiert die Wenigsten. Im Verlauf des Films zeigt sich, dass tragische Umstände und dramatische Ereignisse zu Friedas Verzweiflungstat führten. Arnold Janggens Ermittlungen und Nachforschungen fördern diese allmählich zu Tage.
In behutsam eingestreuten, kurzen Flashbacks erhalten wir darüber hinaus Einblicke in das Leben vor Friedas Festnahme. Sie ist eine empathische, feinfühlige junge Frau, die – wie so viele andere Frauen jener Zeit – Opfer des Systems wurden. Wenn Mittellosigkeit, Ausgrenzung und ausbleibende (finanzielle) Unterstützung von staatlicher oder behördlicher Seite zusammentreffen, so hat dies früher oder später zwangsläufig schlimme Folgen. In der Rolle der traumatisierten und verschlossenen, innerlich aber dennoch starken, zutiefst tapferen Frieda Keller glänzt Julia Buchmann. Durch ihre intensive Darstellung wird der tiefe Schmerz ihrer Figur für die Zuschauer spürbar.
Die anderen Darsteller füllen ihre Rollen in diesem mit authentischer Ausstattung und schönen Kulissen angereicherten Film ebenso souverän aus. Max Simonischek überzeugt als aufrechter Mann des Gesetzes, der aber nicht frei von Ressentiments und abwertenden Tendenzen (Frauen gegenüber) ist. Vor allem zu Beginn. Stefan Merki ist großartig als Staatsanwalt, der beharrlich an Traditionen festhält und an die althergebrachte Gesetzgebung glaubt. Und: der es scheinbar auf eigene Vorteile abgesehen und den Karriereaufstieg fest im Blick hat.
Dennoch gesteht Brendle auch ihm charakterliche Entwicklungen zu. Am Ende hält er einen ergreifenden, flammenden Appell, in dem er Frieda regelrecht anfleht, doch um ihr Leben zu kämpfen und ihre Stimme zu erheben. Es ist einer der stärksten, überraschendsten Momente im Film, der den Glauben an das Gute im Menschen nährt. Diese behutsame Annäherung an die ambivalenten, mehrdeutigen Motive sowie Verhaltens- und Sichtweisen der handelnden Personen zählt zu den großen Stärken von „Friedas Fall“.
Nicht zu verachten sind außerdem die Rollen der Frauen. Allen voran Gesine Janggen, die Frau des Verteidigers, ist eine beeindruckende Person. Sie eignet sich, ebenso wie Erna Gmür, die Ehefrau des Staatsanwalts, als zentrale Identifikationsfigur. Beide, Erna Gmür und Gesine Janggen, kämpfen für Friedas Rechte. Doch schließlich ist es vor allem Gesine, die das patriarchale System hinterfragt und die Ungerechtigkeiten ebenso sichtbar macht wie die bis Tief in die Gesellschaft reichende, weit verbreitete Doppelmoral.
Björn Schneider