Die hübsche Buddy-Komödie mit Christoph Maria Herbst als mieser Gauner, der seinen behinderten Bruder übers Ohr hauen will, ist in erster Linie unterhaltsam, liebenswert und witzig, wobei auch eine gewisse Grundsensibilität spürbar ist. Hier wird mit und nicht über Menschen gelacht, ganz gleich, ob behindert oder nicht. Dabei geht es absolut nicht um Befindlichkeiten oder gar Betroffenheit, sondern vielmehr ums Miteinander in einer inklusiven Story mit hoher Gagdichte. Der Drehbuchautor Clemente Fernandez-Gil ist selbst Vater eines Sohnes mit Trisomie 21 – er weiß also, wovon er schreibt, und er macht das gut. Den Kinospaß inszeniert hat der Familienfilm-Routinier Hanno Olderdissen.
Über den Film
Originaltitel
Ganzer Halber Bruder
Deutscher Titel
Ganzer Halber Bruder
Produktionsland
DEU
Filmdauer
102 min
Produktionsjahr
2025
Regisseur
Olderdissen, Hanno
Verleih
Wild Bunch Germany GmbH
Starttermin
18.09.2025
Der Plot erinnert ein wenig an französische Komödien der letzten Jahre, wie „Glück auf einer Skala von 1 bis 10“ oder – noch ein bisschen stärker – „Was ist schon normal?“, der zurzeit (Sommer 2025) von Marc Rothemund in einer deutschen Adaption gedreht wird. In beiden Filmen geht es um das ungewollte und zumindest teilweise unerwünschte Zusammentreffen von behinderten und nicht behinderten Menschen, wobei letztere diverse Lernprozesse durchmachen, bis sie erkennen, dass der Begriff der Normalität nicht nur äußerst dehnbar, sondern eigentlich auch unwichtig ist. Hier geht es um Thomas, einen verurteilten Kriminellen, der gerade aus dem Knast gekommen ist und unerwartet mit der Tatsache konfrontiert wird, dass er ein Haus geerbt hat. So zirka zwei Millionen ist das Haus wohl wert, und Thomas träumt sofort davon, dass ihn der Erlös des Hauses gleich wieder nach oben katapultieren könnte. Doch da gibt es einen Schönheitsfehler, eine kleine Klausel sozusagen: Denn Thomas erfährt zudem, dass er einen Miterben hat, einen Halbbruder mit Trisomie 21 und lebenslangem Wohnrecht in diesem Haus. Roland heißt der Bruder, aber er wird von allen nur Sunny genannt, und so ist er auch: ein sonniges Gemüt, und sein Lieblingslied, das er in unterschiedlichen Coverversionen praktisch andauernd spielt, ist natürlich der Soul-Oldie „Sunny“. Schnell hat Thomas ein paar Pläne auf Lager, wie er den ungeliebten Halbbruder schnellstmöglich vergraulen könnte, um das Haus zu verkaufen und möglichst schnell zu Geld zu kommen. Doch da ist nicht nur Sunnys aufmerksame Betreuerin Yesim, die dem plötzlich aufgetauchten Verwandten nicht über den Weg traut, sondern Sunny hat viele Freunde, die ihm helfen. Und irgendwann muss Thomas erkennen, dass Sunny genau das hat, was ihm fehlt: ein Zuhause, eine Familie, einen Beruf, Hobbys … aber vor allem hat Sunny ein großes Herz, in dem womöglich auch der sture Einzelgänger Thomas noch Platz hat.
Die Handlung ist zwar unbedingt vorhersehbar, aber das macht fast gar nichts angesichts der tollen Besetzung mit Christoph Maria Herbst als Thomas und Nicolas Randel als Sunny. Mit sichtbarem Vergnügen spielt Christoph Maria Herbst einen sozial verwahrlosten, einzelgängerischen Kriminellen nach dem Motto: große Klappe, nix dahinter. Seine Herzlosigkeit ist das Ergebnis eines verkorksten Lebens. Er bräuchte eigentlich deutlich mehr Unterstützung als sein Halbbruder, der sich im Alltag prima behauptet. Nicolas Randel spielt den Sunny als personifizierten Frohsinn, er ist ein echter Sonnenschein mit einer zutiefst positiven Grundeinstellung. Doch das bedeutet keinesfalls, dass er sich alles gefallen lässt: Wehe, wenn man ihn reizt! Auch die Nebenrollen sind gut besetzt: Als Thomas‘ Bewährungshelfer im klotzigen Auto und mit guten Kontakten zur Unterwelt zeigt Michael Ostrowski eine reife Leistung, gewürzt mit Wiener Strizzi-Schmäh und einem entsprechenden Akzent. Sesede Terziyan ist als Yesim liebevoll und energisch, aber Thomas könnte ihre Betreuung beinahe mehr gebrauchen als Sunny.
Das gesamte Ensemble agiert mit viel Freude am Spiel, insgesamt dominiert die Leichtigkeit, ohne dass es allzu albern zugeht. Es wird mehr gelächelt als gelacht, die Gags sind eher niedlich als knallig, und auch wenn manches ein wenig überzogen wirkt, bleibt die Atmosphäre ziemlich authentisch. Dabei hilft auch, dass in der Geschichte, so wie im richtigen Leben, nicht alles geradlinig aufs Happy End zusteuert. Nicht alles ist eitel Sonnenschein, manchmal geht es auch um Verlust, Abschied, Tod und Trauer. Die leisen Töne gehören dankenswerterweise vor allem Nicolas Randel als Sunny, der sich neben Christoph Maria Herbst gut behauptet, was nicht nur der sensiblen Inszenierung, sondern auch dem Star selbst zu verdanken ist. Am Ende gibt’s ein Happy End und gute Laune – und dazu gehört auch der Ohrwurm „Sunny“ als Erinnerung an eine zutiefst warmherzige Komödie.
Gaby Sikorski