Gardenia

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In seinem Dokumentarfilm wirft Thomas Wallner einen Blick hinter die Kulissen einer besonderen Theaterinszenierung. Die Gespräche mit den transsexuellen Künstler_innen sensibilisieren für das Thema sexueller Identität und verleihen berührende Einblicke in das Leben jener Menschen, die durch das Raster unserer heteronormen Gesellschaft fallen. 

Webseite: www.realfictionfilme.de

Deutschland,/Belgien 2014
Regie: Thomas Wallner
Filmlänge: 88 min.
Verleih: Realfiction
Kinostart: 13. November 2014
 

FILMKRITIK:

Die Bühnenshow „Gardenia“, die mit autobiographischen Elementen vom Leben der transsexuellen Darsteller_innen erzählt, tourte durch insgesamt 25 Länder und sorgte allerorts für Begeisterung. Der gleichnamige Dokumentarfilm von Thomas Wallner geht über die nonverbale Theaterinszenierung hinaus, sucht das Gespräch mit den Protagonistinnen und begleitet sie in ihrem Alltag. So werden die auf der Bühne eher subtil und indirekt verhandelten Themen von Identität, Liebe und Schönheit direkt angesprochen. Wallners große Nähe zu den Travestiekünstler_innen ermöglicht dabei dem Zuschauer tiefe Einblicke in ihre Lebenswirklichkeit und Emotionen.

Dabei geht es nicht nur um Künstler_innenportraits. „Gardenia – Bevor der letzte Vorhang fällt“ erzählt vornehmlich von transsexuellen Biographien mitsamt all ihrer Höhen und Tiefen. Dabei besticht der Film durch seine Vielfalt. Auch wenn sich natürlich Gemeinsamkeiten finden lassen, repräsentieren die einzelnen Drag-Queens doch sehr unterschiedliche Facetten der Transsexualität. Manch eine fühlt sich als Frau, andere als Mann – und diese Identität ist vom biologischen Geschlecht vollkommen unabhängig. Das breite Spektrum an Identitäten stellt wiederholt Kategorien wie „Frau“, „Mann“, aber auch „schwul“ oder „heterosexuell“ in Frage und entlarvt sie als Konstruktion einer heteronorm organisierten Gesellschaft. Für die Protagonistinnen in „Gardenia“ spielen diese Zuordnungen keine Rolle. Sie sind wer sie sind.

Thomas Wallner blickt in Wohnzimmer und Arbeitsplätze. Er lässt seine Gesprächspartner_innen durch Fotografien ihrer Kindheit und Jugend blättern und anhand dessen ihre Identitätsfindung nacherzählen. Für manche ist dies kein einfaches Unterfangen, sind doch mit dem Leben im „falschen Körper“ auch viele unangenehme Erinnerungen verbunden. Gefühle wie Scham und Einsamkeit kommen hier ans Tageslicht und fordern die Sympathie des Zuschauers ein. Auch wenn negative Erfahrungen und Anekdoten überwiegen, vermeidet Wallner gekonnt, seinen Protagonistinnen zu viel Mitleid entgegen zu bringen. Seine Perspektive bleibt neutral. Er selbst tritt weder als Erzähler noch als Interviewpartner in Erscheinung und verzichtet darauf, die emotionale Wirkung seines Films durch eine entsprechende Musikuntermalung zu forcieren. Die Kraft der Geschichten entspringt alleinig den Erzähler_innen, niemals aber der Inszenierung, was dem Film große Authentizität verleiht.
Einen Wermutstropfen bilden die fragmentierten Einblicke in die Bühnenperformance. Es bleibt unklar, ob diese Szenen chronologisch oder willkürlich angeordnet sind, so dass die Theaterinszenierung an sich für den Kinozuschauer kaum erfahrbar wird. Thomas Wallner verwendet die Aufführung lediglich als Hintergrund, als Ausgangspunkt für seine Gespräche mit den Mitwirkenden. Hierdurch erhält sein Film zwar Eigenständigkeit, doch fehlt zuweilen die Rückbindung an das zu Grunde liegende Theaterstück.

So ist „Gardenia – Bevor der letzte Vorhang fällt“ in erster Linie eine von Einzelportraits getragene Beleuchtung des Themas Transsexualität, die das Kinopublikum mit grundlegenden Fragen nach Geschlechtsidentität und Sexualität herausfordert. Das größtenteils im klassischen Talking-Heads-Format präsentierte und recht spezifische Thema wird jedoch wohl leider nur ein sehr begrenztes Publikum ansprechen.
 
Sophie Charlotte Rieger