Geh und lebe

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Mitte der 80er Jahre wird Äthiopien von einer schrecklichen Hungerkatastrophe heimgesucht. Unzählige Menschen sterben an den Folgen ihrer Unterernährung. Die größte Chance dem Hungertod zu entgehen, haben die jüdischstämmigen Afrikaner, denn die „Operation Moses“ hilft den Brüdern im Geiste und bringt sie außer Land nach Israel. Regisseur Radu Mihaileanu („Zug des Lebens“) zeigt anhand des Schicksals eines neunjährigen Christen, der sich als Jude ausgibt um zu überleben, den Irrsinn der Geschichte. Ein eindringlicher Film, der ganz von seiner packenden Geschichte lebt.

Webseite: www.geh-und-lebe.de

(Va, vis et deviens)
Frankreich/Israel 2005
Regie: Radu Mihaileanu
Darsteller: Yaël Abecassis, Roschdy Zem, Moshe Agazai, Moshe Abebe, Sirak M. Sabahat
145 Minuten
Verleih: Delphi
Start: 6.4.2006

PRESSESTIMMEN:

...erzählt ungewohnt differenziert vom Überleben zwischen den Religionen.
Der Spiegel

So deutlich hatte noch kein Film auf der Berlinale den Panorama-Publikumspreis gewonnen. Die Geschichte vom äthiopischen Flüchtlingskind, das unter falscher jüdischer Identität in Israel als Adoptivkind in einer weißen Familie aufwächst, traf mitten ins Herz der Zuschauer. Regisseur Radu Mihaileanu erzählt sie als irrwitzige Tragödie. - Sehenswert!
Tip Berlin

Ein berührendes Drama.
KulturSPIEGEL

Bewegendes, nichts beschönigendes Drama eines heimatlosen Kindes aus Schwarzafrika, dem eine Lüge das Leben rettet. Stiller erzählt als "Zug des Lebens", ist "Geh und Lebe" die unafudringlich eindringliche Identitätssuche von einem, der in die Welt hinausziehen muss, um zu Hause anzukommen.
Cinema

"Eine kunstvolle Balance zwischen Tragik und Komik."
Arte

"...mit Mut zum Pathos und Sinn für die Absurdität der menschlichen Existenz."
Der Spiegel

Preise und Auszeichnungen
Panorama Publikumspreis - Internationale Filmfestspiele Berlin 2005
Preis der Ökumenischen Jury - Internationale Filmfestspiele Berlin 2005
Label Europa Cinemas - Internationale Filmfestspiele Berlin 2005
Hauptpreis "Bester Film" - Internationales Filmfestival Kopenhagen 2005
Hauptpreis "Bestes Drehbuch" - Internationales Filmfestival Kopenhagen 2005
Publikumspreis - Toronto International Film Festival 2005
Regiepreis - Filmfestival Münster 2005.


FILMKRITIK:

Äthiopien im Ausnahmezustand. Der Hungertod geht um. Wer noch die Kraft besitzt, schließt sich dem großen Flüchtlingsstrom an, der sich aus der ehemaligen Heimat in den Sudan bewegt. Hier erwartet die Hungernden ein Auffangcamp, in dem sie dürftig versorgt auf bessere Zeiten hoffen dürfen. Doch der Tod bleibt ihr ständiger Begleiter. Denn wer es überhaupt bis hierhin geschafft hat und nicht bereits auf dem Weg durch die ewige Wüste verendete, ist dem Tod meist näher als dem Leben.
Auch einem neunjährigen Jungen und Sohn einer äthiopischen Christin, ereilt das Schicksal. Seine Schwester sowie sein Bruder sind bereits von ihm gegangen und so findet er den einzigen Halt bei seiner noch lebenden Mutter. Umso unverständlicher für ihn, dass sie ihn urplötzlich fortjagt. Gegen seinen Willen, muss der verstörte Junge auf einen Transporter aufspringen und dem einzigen Menschen, der ihm geblieben ist, den Rücken kehren. Die letzten Worte seiner Mutter werden ihn prägen und fortan begleiten: „Geh, lebe und werde!“

Kein Ausspruch einer herzlosen Rabenmutter, denn tatsächlich hat sie für ihren Sohn nur das Beste im Sinn. Eine Chance, die sich bot und die den Jungen eine glücklichere Zukunft bescheren soll. Der Transporter, der ihn aus dem Flüchtlingscamp herausbringt, ist Teil der „Operation Moses“ - eine Hilfsaktion Israels, die den jüdischen Teil der Flüchtlinge nach Jerusalem rettet.

So findet sich der Junge, der fortan auf den Namen Schlomo hört, im Heiligen Land wieder. Er ist in Freiheit und doch gefangen im Gespinst seiner eigenen Lebenslüge. Bemüht seine neue Identität anzunehmen und seine Wurzeln zu leugnen, wenn auch nie zu vergessen, wächst er bei einer Adoptivfamilie in Tel-Aviv auf. Er fügt sich in die westliche Kultur sowie das Judentum ein, erfährt Hass in Form von Rassismus und Krieg und lernt die Liebe ohne Vorurteile kennen. Der innere Konflikt und die Angst entdeckt zu werden, bleiben seine ewigen Begleiter. Denn tief im Herzen, weiß nur er um seine wahre Identität.

Regisseur Radu Mihaileanu erzählt anhand des Schicksals eines Einzelnen, zugleich das Schicksal vieler Menschen. Seine Figur steht als Sinnbild für den Irrsinn der Geschichte. Glaubhaft, bewegend und eindringlich, vermag der Film dabei den Blick auf das Wesentliche zu schärfen: das Leben! Der geschichtliche Hintergrund verleiht der Erzählung die nötige Transparenz. Ein Stück Kino, das mitten ins Herz zielt und mit voller Wucht trifft.

Anfängliche Schwächen und dauerhafte Mängel in der Umsetzung geraten problemlos in Vergessenheit. Gemeint sind die darstellerische Präsenz mancher Randfiguren in den Anfangsszenen sowie die eher unspektakuläre Filmästhetik. Hier liegt das Hauptaugenmerk klar auf der Story und das ist auch gut so. Ohne optische Reizüberflutung, wird eine große Geschichte in verhältnismäßig kleinen Bildern erzählt, was wahrlich besser ist als umgekehrt. Ungeschönte Bilder wirken länger nach.

Gary Rohweder

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Der politische Film lebt. Filme, die soziales Elend zeigen, Ausgrenzung und den alltäglichen Rassismus thematisieren, werden auf den großen Festivals nicht mehr in ein Nebenprogramm abgeschoben, sondern mit Preisen überhäuft. Das war auf der Berlinale so, und nachdem „L.A. Crash“ den Oskar für den besten Film bekommen hat, ist der Trend unverkennbar auch in Hollywood angekommen. Jetzt kommt mit „Geh und Lebe“ der Film eines rumänisch-französischen Regisseurs in die Kinos, der Einblick in das Leben äthiopischer Flüchtlinge in Israel geben will. Doch das neueste Werk von Radu Mihaileanu („Zug des Lebens“) vermag nicht so sehr durch seine politischen Botschaften als vielmehr durch seinen psychologischen Realismus zu beeindrucken.

In der Wüste im Sudan stehen provisorisch aufgebaute Zelte, ausgemergelte Frauen halten ausgemergelte Kinder in ihren Armen, eine winzige Schüssel Reis geht von Hand zu Hand, Ärzte leisten notdürftig Erste Hilfe – Katastrophenbilder aus Afrika, wie man sie vom Fernsehen her kennt. Doch dann durchbricht die Kamera diese Stereotypie, fährt auf eine Mutter mit ihrem Kind zu, das ein letztes Mal die Augen aufschlägt, dann ist es tot. Ein weißer Doktor drückt ihm die Augen zu. In der nächsten Einstellung ist es Nacht, Lastwagen bereiten sich auf die Abfahrt vor. Wieder muss sich eine Mutter von ihrem Sohn trennen, doch diesmal wartet nicht der Tod, sondern das Leben in der Fremde auf den neunjährigen Salomon. Seine Mutter, eine Christin, schickt das weinende Kind zu den Wartenden – äthiopische Juden, die auf eine bessere Zukunft in Israel hoffen. „Geh und lebe!“, wird sie dem kleinen Salomon nachrufen, der in der langen Schlange der Wartenden die Hand einer fremden Frau ergreift – wir erkennen sie als jene Mutter wieder, die zuvor ihr eigenes Kind verloren hatte. Diese Rettungsaktion fand tatsächlich statt, Mitte der achtziger Jahre, der Deckname lautete „Operation Moses“. Später wird man vielen der geretteten schwarzen „Falashas“ den Vorwurf machen, sich bloß als Juden ausgegeben zu haben, und auch Salomon, der in Israel angekommen sich nur noch Schlomo nennen darf, wird unter Vorurteilen, Ausgrenzung und Rassismus zu leiden haben.

Dass der Film die selbstlose Mutterliebe zeigt, die sich hier nur als Härte gegen sich und ihren weinenden Sohn äußern kann, weil nur die endgültige Trennung dem Kind ein Überleben ermöglichen kann, das wirkt wie eine Verbeugung vor der unbändigen Kraft der Verzweiflung. Erklänge nicht in diesem Moment des Abschieds die nahezu unerträglich sentimentale Panflötenmusik von Armand Amar, die sich wie eine zuckersüße Soße über die anrührende Szene gießt. Dies ist nicht die einzige Schwäche des Films: Manche Dialoge geraten etwas hölzern, die meisten Nebenrollen sind nicht richtig ausformuliert, die Geschichte zerfällt durch das Bemühen, fünfzehn Jahre einer Lebensgeschichte in etwas mehr als zwei Stunden erzählen zu wollen, in einzelne Episoden. Und von den schauspielerischen Leistungen her vermag allein die wundervolle Yaël Abecassis in der Rolle der Adoptivmutter restlos zu überzeugen. Dennoch ist „Geh und Lebe“ ein sehenswerter Film, denn der seit 1980 in Frankreich lebende Rumäne Radu Mihaileanu hat einen Stoff gefunden, den es sich zu erzählen lohnt. Mit viel Liebe zum Detail dokumentiert er Schlomos Entwicklung zu einem jungen Mann, der einmal Medizin studieren und als Arzt nach Äthiopien zurückkehren wird. Aus respektvoller Distanz beobachtet die Kamera, wie sich der kleine Schlomo hinter einem Baum versteckt, seine Schuhe auszieht und barfuss geht, wie er lieber auf dem harten Boden als im Bett schläft, um seiner verlorenen Kindheit und den Erinnerungen an seine Mutter näher zu sein.

Als allzu plakatives politisches Manifest mag „Geh und lebe“ misslungen sein; als sensibles Portrait eines Kindes, das in der Fremde aufwächst, kann der Film durchaus überzeugen.

Ralph Winkle