Girl Gang

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Im Dokumentarfilm „Girl Gang“ porträtiert Susanne Regina Meures („Raving Iran“) die jugendliche Influencerin Leonie aka „Leoo“, die von ihren Eltern gemanagt wird. Der zeitgeistige Film blickt hinter die Kulissen des Influencer-Lifestyles und lotet zugleich die Dynamik innerhalb von Leonies Familie aus. 2022 wurde der Beitrag unter anderem im Wettbewerb des DOK.fest München aufgeführt.

Webseite: www.girlgang-film.com

Schweiz 2022
Regie: Susanne Regina Meures

Laufzeit: 97 Min.
Verleih: Rise and Shine
Kinostart: 20. Oktober 2022

FILMKRITIK:

Zu einer nächtlichen Aufnahme des Berliner Fernsehturms setzt eine Frauenstimme den märchenhaften Rahmen. Sie erzählt vom „kleinen schwarzen Spiegel“, mit dem sich ein Mädchen vom Stadtrand aller Welt zeigen kann. Ihr Smartphone legt die zum Filmauftakt 14-jährige Ostberlinerin Leonie selten zur Seite. Als followerstarke Influencerin „Leoo“ lebt sie halb in den Feeds von Instagram oder TikTok. Ihre Eltern Andreas und Sani managen die Tochter. Dabei entstehen Konflikte, zumal Leonie während der Drehzeit pubertiert. Das permanente Abliefern von Content erzeugt Stress: aus Spaß wird Ernst.

Zu Beginn der dreijährigen Kamerabegleitung folgen Leonie etwas mehr als eine halbe Million Accounts, am Ende sind es 1,6 Millionen. Der Film dokumentiert, wie die Online-Karriere gedeiht und zum finanziellen Gamechanger für Leonies Arbeiterfamilie avanciert. „Es ist Wahnsinn, was Leonie uns hier ermöglicht,“ sagt der Vater, der in Leoprints und rosa Turnschuhen bald selbst zum Influencer wird.

Susanne Regina Meures begleitet Leonie und die Eltern nach Stuttgart oder Wien, wo Einkaufszentren eröffnen, Interviews, Beratungen oder Fantreffen anstehen. Leitmotivisch füllen immer wieder Close-ups von Smartphones das Bild. Leonie scrollt durch Feeds, optimiert Bilder, checkt Kosmetiktrends. Dazwischen sehen wir Miniaturen aus dem Familienalltag. Leonie findet ihre Eltern oft „nervig“, was manche Upload-Termine gefährdet. Die Eltern hinterfragen die Vermarktung der Tochter und ihr Mitwirken daran. „Ich bin in Leos Welt gefangen,“ bekennt die Mutter.

Vereinzelte Text-Inserts liefern Fakten zur Einordnung, ab und an äußern sich die Protagonisten selbstkritisch aus dem Off. Als Konterpart tritt die 13-jährige Melanie auf, die eine Fanpage für ihr Idol Leonie betreibt und fast wie eine fiktive Figur wirkt. „Leos Leben ist einfach perfekt,“ findet die depressive Teenagerin, deren Nervenzusammenbruch in einem Vlog an den Horrorfilm „Blair Witch Project“ gemahnt. Schlussendlich löst sie sich von der emotionalen Abhängigkeit zu Leonie und ihrer ungesunden Selbstwahrnehmung. „Das ist wie ne Sucht,“ meint auch Leonie, die kaum reale Sozialkontakte hat.

Die erste Szene dokumentiert das Influencer-Phänomen als bedeutsamen Teil gegenwärtiger Popkultur: Dicht gedrängt harren Groupies vor einer breiten Fensterfront aus. Der cineastische Blick assoziiert „Zombies im Kaufhaus“ von George A. Romero. Tatsächlich stammen die Bilder von der Eröffnung einer Mall. Zu klassischer Musik eskaliert die Ekstase der Fans, als sie eingelassen werden. Was für ein Schauspiel. Backstreet's back, alright.

 

Christian Horn