Giulia geht abends nie aus

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Ein Mann ohne Eigenschaften liebt eine Frau mit dunklen Eigenschaften. Und je weiter sich der verheiratete Schriftsteller Guido um seine mysteriöse Schwimmlehrerin Giulia bemüht, um so mehr geht sein reales Leben baden. Wirkliche Beziehungen passen nicht in die neue Möglichkeitswelt. Giuseppe Piccioni bietet mit seiner melancholischen, komödiantischen und entlarvenden Geschichte eine weitere Perle des neuen reflexiven italienischen Erzählkinos.

Webseite: cineglobal

Italien 2009
Originaltitel: Giulia non esce la sera
Regie: Giuseppe Piccioni
Darsteller: Valerio Mastandrea, Valeria Golino, Sonia Bergamasco, Domiziana Cardinali, Jacopo Domenicucci
Länge: 105 Min. (OmU)
Verleih: Cine Global
Start: 1. September 2011

PRESSESTIMMEN:

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FILMKRITIK:

Guido (Valerio Mastandrea) schreibt Geschichten, die keiner zuende liest. Für einen Literaturpreis ist er dennoch nominiert und sein nächstes Buch befindet sich schon in Arbeit. Aber er traut seinen Eingebungen nicht. Während Guido mit sich hadert, lässt er sich von der Schwimmlehrerin seiner Tochter, der geheimnisvollen Giulia (Valeria Golino) unterrichten. "Ich möchte 50 Bahnen schwimmen. Jetzt schaffe ich schon eine halbe." Das Schwimmen bringt ihn auf wohltuend "leere" Gedanken, wie "mein rechtes Bein tut weh" oder "das ist die fünfte Bahn".

Anders als in der überschaubaren Wasserwelt verschwimmen in seinem Arbeits- und Familienleben die Figuren seiner Geschichten mit Realität. Seine Teenagertochter und seine Frau (Sonia Bergamasco) nimmt er als entfernte Figuren wahr, die wiederum seine Geschichten bevölkern. Darin verlieben sich einsame Männer in Stripperinnen oder Regenschirmverkäuferinnen, sind richtungslos wie er selbst. Guido hält sich nicht für besonders einfallsreich oder interessant. Ebensowenig weiß er sein Haus bei Rom und die Liebe seiner schönen Frau zu schätzen. Für ihr Auseinanderleben gibt es eigentlich gar keinen Grund. Im Gegensatz zu den Eltern ihrer Schulkameraden sei er aber noch nicht geschieden, so hält es ihm seine muffelige Tochter vor. Auch sie selbst entzweit sich ebenfalls grundlos von ihrem niedlich-biederen, belesenen Freund. Von den Gesprächen mit ihr abgesehen, zieht Guido wie ein Schlafwandler durchs Leben. Seine Geschichten enden ohne Hoffnung. Ihn ziehen die in sich Gefangenen, die permanent Suchenden an.

Wie eben die grübelnde und geheimnisvolle Giulia. Im Gegensatz zu seinen halbgaren Erzählungen bringt sie eine abgeschlossene Geschichte mit und wird dadurch greifbarer für ihn. Es stellt sich heraus, dass sie nur halb im Leben steht. Lediglich für ihren Schwimmunterricht darf sie auf Hafturlaub. Bei Giulia lernt Guido Bahnen zu ziehen und sich nicht nur wie eine Qualle auf dem Wasser treiben zu lassen. Guido verliebt sich in sie und greift schreibend in ihre verfahrene Familiengeschichte ein, was alles noch schlimmer macht. Er unterschätzt die Verletztheit und Schroffheit ihrer halbwüchsigen Tochter.

Giuseppe Piccioni verknüpft kleine und große Dramen hypnotisch, linear und elegant. Auch die Nebenfiguren - ein junger aufstrebender Schriftsteller oder eine weniger auf Inhalte als auf Preise fixierte Verlegerin - sind stimmig aufgebaut. Viele Nahaufnahmen erfassen die eklatanten Widersprüche zwischen dem Gesagten und dem Gedachten. Die Bilder im Schwimmbad positionieren die Figuren. Mal zeigen sie zappelnde Beine, mal Tauchende, mal steht den Menschen das Wasser bis zum Hals. Hier werden schwere Geschichten leicht, und leichte Dramen schwer. Oft ist nicht klar, ob Guido die Szenen erlebt oder erdichtet oder erträumt. Imagination und Wirklichkeit, Innen- und Außenwelt verfließen. Es ist ein Schwebezustand, den Piccioni schon zuvor in seinem Drama um zwei Schauspieler in "Das Leben, das ich immer wollte" aufrecht hielt. Wie die neuen Kino-Erzähler Nanni Moretti, Paolo Virzì, Marco Tullio Giordana, Luca Guadagnino oder Silvio Soldini weiß er in komplexen und einsichtsvollen Geschichten den gesellschaftlichen Ist-Zustand zu spiegeln. Sein Film macht Lust auf viel mehr italienisches Kino.

Dorothee Tackmann

Dass Giulia abends nie ausgeht, hat einen triftigen Grund. Sie arbeitet am Tag als Schwimmlehrerin, muss jedoch jeden Abend zurück ins Gefängnis, denn sie hat aus Leidenschaft einen Mord begangen.

Guido Montani ist Schriftsteller, verheiratet mit Benedetta, eine Tochter, Costanza. Er schreibt, erfindet, phantasiert, doch die Geistesblitze bleiben aus. Er scheint schriftstellerisch und ehelich an einem Scheideweg zu stehen. Für einen literarischen Preis ist er zwar nominiert, gewinnt ihn aber nicht.

Guidos Frau und die Tochter sind im Voraus in ein ererbtes Haus umgezogen; Guido ist allein, wird nachkommen – doch ganz sicher ist das nicht. Das Mädchen will keinen Schwimmunterricht mehr, also nimmt Guido an seiner Stelle die Schwimmstunden wahr. Giulia und Guido begegnen sich.

Zuerst ist es ein „trockenes“ Lehrer-Schüler-Verhältnis. Dann kommt, was kommen muss. Die beiden lieben sich. Doch das große Glück bleibt aus. Zu sehr kämpfen beide mit ihren Lebensschwierigkeiten, Giulia mit der Tatsache, dass sie von ihrer Tochter seit dem Mord strikt abgelehnt wird, Guido, in dessen Schreibversuchen Giulia immer wieder unvermittelt und erfindungsreich auftauchte, mit dem Schwanken zwischen seiner Familie und seiner Geliebten sowie mit seiner literarischen Auszeit.

Bis zum traurigen Ende.

Mit erheblichem Gespür zeichnet Regisseur und Koautor Giuseppe Piccioni geruhsam und einleuchtend die beiden eher niedergeschlagenen Charaktere und ihr unglückliches Verhältnis zueinander. Zwei, die sich treffen, sich aber nicht retten können. Glaubwürdig präsentiert und bestens gespielt – sowohl von Valeria Golino, der aparten, die schon in vielen bedeutenden Rollen glänzte, so auch hier, als auch von Valerio Mastandrea, bei dessen Spiel man spürt, wie er sowohl als Literat als auch als Ehemann Sicherheit und Stabilität finden will.

Thomas Engel