Gloria

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Gäbe es auf der Berlinale 2013 einen „Bären der Herzen“, der junge Chilenen Sebastián Lelio hätte ihn souverän gewonnen. Szenenbeifall und minutenlanger Applaus bis zum Ende des Abspanns waren des Publikums Dank für die bewegende Geschichte der titelgebenden Heldin, einer Dame um die 60, die ihrem langweiligen Leben ein bisschen Lust und Liebe abtrotzen will. Der elegante Rodolfo wäre der ideale Kandidat für eine Romanze, doch der heiße Liebhaber entpuppt sich als wahrer Waschlappen. Mit pfiffiger Cleverness und lässigem Charme hält das Drama gekonnt die Balance zwischen Melancholie und Komik und gerät so zum wohl bezauberndsten Feel-Good-Film des Jahres. Wenigstens bekam die grandiose Pauline Garcia den verdienten „Bären“ als Beste Darstellerin. Und der Film, last not least (!), den Gilde-Preis der deutschen Filmkunsttheater der AG Kino-Gilde.

Webseite: www.alamodefilm.de

Chile / Spanien 2012
Regie: Sebastián Lelio
Darsteller: Paulina Garcia, Sergio Hernández, Diego Fontecilla, Fabiola Zamora
Filmlänge: 105 Minuten
Verleih: Alamode
Kinostart: 8.8.2013

PRESSESTIMMEN:

"Gut gelaunte Frauenpower..."
STERN

"So sieht wahre Lebenslust aus! Dem chilenischen Film 'Gloria' gelingt das mitreißende Porträt einer Frau, die lernen muss, für ihr Glück zu kämpfen. Hauptdarstellerin Paulina García wurde auf der Berlinale gefeiert. Jetzt dürfte sie noch mehr Herzen erobern."
Der Spiegel

"Ein ebenso feinfühliges wie unterhaltsames Frauenporträt, das zwischen sanftem Humor und Melancholie changiert... - Sehenswert."
film-dienst

"Kaum ein Film hat während der diesjährigen Berlinale für so viel Publikumsverzückung gesorgt wie 'Gloria'..., und das ist kein Wunder, denn es gab dort sonst keinen Film zu sehen, der so optimistisch und gleichzeitig melancholisch war, so herzlich wie ehrlich."
KulturSPIEGEL

"Mit Schwung ins Zentrum großer Gefühle, diese Frau ist ein Ereignis."
Die Zeit

"Mit einer Prise trockenen Humor, jener feinen, lateinamerikanischen Lakonie (...) Gloria ist eine Wahlverwandte von Pedro Almodóvars Heldinnen."
Berliner Zeitung

FILMKRITIK:

Die geschiedene Titelheldin sieht mit ihren 58 Jahre noch recht attraktiv aus. Entsprechend erfolgreich ist die gesellige Dame, wenn sie auf diversen Single-Partys nach ein bisschen Liebe, Lust und Leidenschaft sucht, um der Langeweile des Alltags zu entfliehen. Die erwachsenen Kinder sind längst aus dem Haus, auch der Enkel scheint sie nicht wirklich zu benötigen. Doch Gloria, die Frau mit der übergroßen Brille, ist kein Kind von Traurigkeit. Sie amüsiert sich bei albernen Lachseminaren genauso leidenschaftlich wie beim Tanz der einsamen Herzen. Jenes schlägt prompt etwas stärker als sie auf Rodolfo trifft, einen ehemaligen Marineoffizier und wahren Gentlemen. „Bist du immer so fröhlich?“ lächelt er sie flirtend an. Auf solch Süßholz raspelnde Anmachsprüche hat Gloria nur gewartet. Es ist Liebe auf den ersten Blick. Beim zweiten Blick indes entpuppt sich der Charmeur als ziemlicher Waschlappen. Seine Ex-Frau und die Kinder werden immer und immer wieder zu Stolpersteinen der aufkeimenden Beziehung. Da hilft es letztlich nur wenig, dass Gloria beim romantischen Dinner die nervtötenden Anrufe rigoros beendet, indem sie das Handy des Liebhabers spontan in dessen Weinglas versenkt.

Irgendwie scheint notorisch der Wurm drin, in dieser Romanze, auf die die Heldin so viel Hoffnung setzt. Da gibt es zwar kurzweilige Ausflüge in des Lovers eigenen Freizeitpark. Und auch die Nächte prickeln vor Erotik. Aber immer wieder lässt sich Rodolfo von seiner Ex-Familie unter Druck setzen. Als Gipfel der Feigheit verschwindet er klammheimlich – um sich danach mit größter Geste zu entschuldigen. Gloria macht diese Spielchen lange, viel zu lange mit. Doch irgendwann platzt auch ihr der Kragen und sie geht resolut zum Gegenangriff über: Mit einer der wunderbarsten Attacken, die man sein langem in einem Liebesfilm gesehen hat. Das Berlinale-Publikum quittierte es mit Szenenapplaus und feierte die "Gloria"-Botschaft, frei nach Udo Jürgens: "Mit 58 Jahren, da fängt das Leben an...".

„Ein bisschen ist 'Gloria' wie 'Rocky'. Sie wird geprügelt. Aber sie steht immer wieder auf und zwar mit erhobenem Haupt“, beschreibt Regisseur Leilo seine Heldin, die als wahres Stehauf-Frauchen den Widrigkeiten des Lebens trotzt. Nicht nur in der großen Liebe, auch im kleinen Alltag. Etwa bei jenem psychopathischen Nachbarn, dessen Lärm sie Nacht für Nacht um den Schlaf bringt – da wäre sie schön blöd, wenn sie dessen vor ihrer Tür vergessenes Päckchen Cannabis nicht selbst für ein paar Stunden der Gemütlichkeit nutzen würde. Derart entspannt findet sie sogar Gefallen an des Nachbarn haarloser Katze, die ganz ohne Fell eher wie ein Nacktmull aussieht.

So effizient wie elegant werden die Figuren in dieser Tragikomödie eingeführt und mit bestechend präzisen Blick begleitet der chilenische Regisseur und Koautor seine Helden ohne sich je in Klischee zu verheddern. Solche Typen mag man und man mag ihre Gefühlswelten auf der Leinwand miterleben – von wie vielen deutschen Filmen lässt sich das in letzter Zeit behaupten? Leilo verblüfft mit hübschen visuellen Einfällen, lakonischen Dialogen und verzaubert mit einem stimmungsvollen Soundtrack. Von der preisgekrönten Hauptdarstellerin Pauline Garcia ganz zu schweigen, deren leinwandpräsenter Charme samt Herzlichkeit schlicht umwerfend ist..

Dass der 38jährige Filmemacher aus dem cineastischen Entwicklungsland Chile ein großes Talent ist, hat er bereits eindrucksvoll bewiesen. Mit den ersten drei Spielfilmen auf den A-Festivals der Welt vertreten gewesen zu sein, können nur wenige als künstlerische Bilanz vorweisen. Mit „Gloria“ hat er in San Sebastian bereits gewonnen, allerdings nur für die Rohfassung. Wie sehr der fertige Film auf der Berlinale die Herzen der Zuschauer gewann, zeigte sich eindrucksvoll beim furiosen Finale. Da legt die Heldin die große Brille ab und tanzt sich, völlig lostgelöst, von allen Zwängen frei: natürlich zu Umberto Tozzis Disco-Ohrwurm „Gloria“. Das Publikum klatschte im Takt begeistert bis zum letzten Bild des Abspanns: (Programm-)Kino-Gold! 

Dieter Oßwald


Gloria ist schon mittelalterlich, keine von diesen Frauen (und Schauspielerinnen), die jung, schön und blond sein wollen und auch so auftreten. Sie ist von ihrem Mann geschieden, ihre Kinder Ana und Pedro sind längst erwachsen und versorgt.

Gloria arbeitet zwar noch, fühlt sich aber doch oft allein. Deshalb geht sie ab und zu tanzen. Dieses Mal trifft sie auf Rodolfo, mit dem sie gleich schläft, denn sexuelle Gelüste sind schon da.

Rodolfo lebt zwar, wie er sagt, auch getrennt, doch unabhängig ist er keinesfalls. Immer wieder, wenn er bei Gloria weilt, rufen die Töchter an, wollen etwas. Oder seine (Ex-)Frau Susanna rennt in eine gläserne Vorrichtung und verletzt sich. Erneut wird Rodolfo gerufen.

Doch er sagt, er brenne vor Liebe für Gloria. Diese behält ihn daher auch – und doch wird sie immer wieder von ihm und seinen Verpflichtungen enttäuscht. Oder der Vorfall bei jenem Familientreffen, zu dem Gloria ihn eingeladen hat: Pedro ist da, er hat Geburtstag, dann Ana, die bald zu ihrem Liebsten nach Schweden abreisen wird, sogar Glorias Ex-Mann. Und wie gesagt Rodolfo. Er fühlt sich bei dem fröhlichen Zusammensein der anderen vernachlässigt und haut einfach ab. Jetzt hat Gloria bald genug von ihm, besonders da er es bei einem Hotelaufenthalt noch einmal auf die gleiche Weise treibt. In ihrer Wut rächt sie sich sogar auf eine nicht schlimme aber spektakuläre Art.

Gloria ist erneut allein. Sie muss neu anfangen. Vielleicht geht sie wieder tanzen.

Große Dramatik gibt es in diesem Film nicht; er ist eher still, intim, melancholisch, alltäglich vor allem und manchmal auch erheiternd. Es geht tatsächlich zu „wie im richtigen Leben“. Erzählt und dramatisiert ist das alles unauffällig, aber eben sehr wahrhaftig.

Und dann ist da noch etwas: das durchgehend wunderbare, intelligente und absolut fesselnde Spiel der Paulina Garcia als Gloria. Man könnte ihr stundenlang zusehen. Das sagt doch schon alles!

Ihretwegen auf jeden Fall ein sehenswerter Film.

Thomas Engel