Halt auf freier Strecke

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In seinem jüngsten Film widmet sich Andreas Dresen, der Chronist des (ost)deutschen Alltags, einem der letzten Tabuthemen: Krankheit und Tod.
Frank Lange hat Krebs. Er wird in wenigen Monaten an einem Gehirntumor sterben. Gerade eben noch sind er, Simone und die beiden Kinder in ein neues Häuschen gezogen, aber die gemeinsame Zukunft, die so freundlich und normal vor ihnen zu liegen schien, gibt es nun nicht mehr. Stattdessen dominieren die verschiedenen Stadien von Franks Krankheit nun den Alltag, der immer unerträglicher wird.
Für sein genau beobachtetes Drama wurde Dresen in Cannes mit dem Preis für den besten Film in der Kategorie „Un certain regard“ ausgezeichnet.

Webseite: www.halt-auf-freier-strecke.de

Deutschland 2011
Regie+ Buch: Andreas Dresen, Cooky Ziesche
Kamera: Michael Hammon
Darsteller: Milan Peschel , Steffi Kühnert, Inka Friedrich, Talisa Lilly Lemke, Otto Mellies
Länge: 110 Minuten
Verleih: Pandora Filmverleih
Filmstart: 17.11.2011

PRESSESTIMMEN:

Ein großer Film über das Sterben. Einfach grandios...
DER SPIEGEL

„Halt auf freier Strecke" plädiert so leise wie eindringlich dafür, dass Krebskranke im Kreis ihrer Familie sterben sollen - in der ausdrück­li­chen Hoffnung, dass der Tod da­durch, als etwas nicht mehr Frem­des, auch für Kinder seinen Schrec­­­ken verliert.
Der Tagesspiegel

Ein anrührender Film über das Ster­­­ben, über Verlust und Ab­schied­­neh­men - mit großarti­gen Schau­spie­lern, ohne falsche Sen­ti­­mentalität und ohne jeden fal­schen Ton.
NDR

FILMKRITIK:

Andreas Dresen interessiert sich für Menschen, für die sich im deutschen Kino fast niemand interessiert. Für einfache Angestellte und Arbeiter, für normal verkrachte Familien, für Leute, die weder besonders glücklich noch besonders unglücklich sind, und weder jung noch besonders schön. Leute, wie die eigene Familie, die Nachbarn und die Tramfahrerin, die einen jeden Morgen durch die Gegend kutschiert. Auch sein Blick ist ein familiärer. Ein mysteriöser Fremder wird einem wohl nie in einem Dresen-Film begegnen. Man kennt sich schon lange - zu lange, um noch viel zu beschönigen oder sich groß über die Macken der anderen aufzuregen. Im Grunde ist man sich sympathisch, oder zumindest stellt man sich die Frage nicht mehr. Man gehört eben zusammen.

Aus dieser Haltung heraus erzählt Dresen von den Dingen, die seiner „Familie“ passieren. Vom entflogenen Kanarienvogel ebenso wie von der neuen Verliebtheit. Dem großen Theater scheint er dabei eher aus dem Weg zu gehen, so unaufgeregt kommen die Filme daher, so alltäglich sind die Dilemmata, so ambivalent die Lösungen. Dabei geht es Dresen, gerade in seinen jüngsten Filmen, durchaus um die ganz großen Dramen: Liebe, Einsamkeit, Alter und - in „Halt auf freier Strecke“ – Tod.

Frank Lange hat einen inoperablen Gehirntumor. En Detail filmt Dresen die verschiedenen Stadien der Krankheit, die unweigerlich in wenigen Monaten zum Tod führt. Er erzählt von den Wandlungen, die Frank und seine Familie dabei durchmachen. Einem ersten Entsetzen folgt der Versuch, so lange wie möglich so normal wie möglich weiter zu machen. Den Kindern wird nur das Nötigste gesagt, die Eltern versuchen, ihre Verzweiflung für sich zu behandeln. Aber zunehmend verändert die Krankheit Frank, er wird schwächer und reizbarer. Er vergisst immer mehr und findet sich im eigenen Haus nicht mehr zurecht. Schließlich verlässt er das Bett kaum mehr.

Die kunstvoll erzeugte Alltäglichkeit, die den Charme von Dresens bisherigen Filmen ausmachte, ist in „Halt auf freier Strecke“ nur schwer zu ertragen. Sie macht es fast unmöglich, sich von dem Geschehen zu distanzieren, da helfen auch ein paar Einsprengsel von Dresens freundlichem magischen Realismus wenig. Man wünscht sich einen glamourösen Film-Noir-Tod, ein psychologisch ausgefeiltes Bergmann-Drama, zynisch-derben Marx-Brothers Humor – alles, nur nicht diese scheinbar unvermittelte Konfrontation mit der Diagnose ‚Hirntumor‘. Man ärgert sich auch darüber, dass einem diese Art der einfühlenden Auseinandersetzung im Namen der Authentizität zugemutet wird.

Am Ende ist man dann erschöpft und verheult und – hat es überstanden. Genau wie Frank und seine Familie. Am nächsten Tag erinnert man sich an den Film wie an eine Geschichte, die Freunden widerfahren ist.

Hendrike Bake

Simone und Frank konnten sich endlich ein Reihenhaus draußen vor der Stadt leisten. Mit Lili und dem kleinen Mika haben sie zwei Kinder, die sie lieben. Das Familienglück scheint in Ordnung zu sein.

Frank hatte schon oft starke Kopfschmerzen. Jetzt kommt die Diagnose: Gehirntumor. Wegen der besonderen Lage der Geschwulst ist eine Operation nicht möglich, lediglich Chemotherapie und Bestrahlungen.

Wie eine Bombe schlagen Schreck und Leid ein. Der Tumor wächst weiter. Nur noch wenige Monate. Weihnachts“fest“ am Krankenbett.

Franks Krankheit löst auch psychische Störungen aus: Wutanfälle, Ungerechtigkeiten. Dazu die zuweilen die Besinnung raubenden Schmerzen.

Das Siechtum dauert lange. Tränen, Verzweiflung, Morphium, Schlaf. Simone ist tapfer.

Dann das Ende. Der „Halt auf freier Strecke“.

Zwei Minuten später sagt die wassersportlich sehr begabte Lili: „Ich muss zum Training“. Gottlob geht das Leben auch irgendwie weiter.

Eine minutiös und ausführlich erzählte Krankheits- und Leidensgeschichte. Offenbar schwebte Regisseur Andreas Dresen eine wahre Begebenheit vor. Denn es ist viel Wirklichkeitsnahes mitzuerleben. Ein sehr empfindliches Nervenkostüm sollte man dabei nicht haben.

Milan Peschel als Frank wächst über sich hinaus. Wie er diesen krebskranken Frank spielt, verdient Hochachtung. So gut wie das gleiche kann man von Steffi Kühnert als der vom Kummer überwältigten Simone sagen.

Eine realitätsnahe, zum Nachdenken bringende Leidensgeschichte, in der der Tod so nahe ist wie das Leben.

Thomas Engel