Herr Bachmann und seine Klasse

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Er ist ein Lehrer, wie man ihn sich wünscht: Empathisch, geduldig, streng wenn es nötig ist, vor allem aber ein Freund seiner Schüler. „Herr Bachmann und seine Klasse“ hat Maria Speth ihre episch lange Dokumentation genannt, in der sie über dreieinhalb Stunden lang beobachtet, wie Schule auch gehen kann. Bei der Berlinale wurde der Film mit dem Preis der Jury ausgezeichnet.

Website: grandfilm.de/herr-bachmann-und-seine-klasse/

Dokumentation
Deutschland 2021
Regie: Maria Speth
Länge: 217 Minuten
Verleih: Grandfilm
Kinostart: 16.9.2021

FILMKRITIK:

Ex-Revolutionär, Aussteiger, Folksänger, Künstler. Ein bunter Hund ist dieser Dieter Bachmann, der seit 17 Jahren an einer Gesamtschule in der kleinen hessischen Stadt Stadtallendorf unterrichtet. Und da von den knapp 21.000 Einwohnern rund 70% einen Migrationshintergrund haben, kommen seine Schüler aus den unterschiedlichsten Ländern: Türkei, Kasachstan, Brasilien, Russland, Bulgarien, Rumänien, Italien oder Marokko, manche sind in Deutschland geboren, andere erst seit kurzer Zeit im Land. So oder so: Ihre Chancen sind nicht allzu groß, ihr Weg scheint allzu oft vorbestimmt, denn es gibt nicht viele Lehrer, die sich für sie einsetzen.

Ein gutes Jahr lang hat Maria Speth immer wieder in Dieter Bachmanns Klasse gefilmt, im sechsten Schuljahr, also dem letzten, bevor es für die Schüler an eine weiterführende Schule geht, viele auf die Gesamtschule, manche aufs Gymnasium. Unterstützt wurde Speth dabei von Reinhold Vorschneider, einem der renommiertesten deutschen Kameramänner. Immer auf Augenhöhe hat er seine Breitwandkamera positioniert, zeigt die Schüler in langen Einstellungen, wie sie ihren Lehrern folgen, auch mal Widerworte geben. Viel Zeit nimmt sich Speth, über dreieinhalb Stunden, in denen an sich nichts bemerkenswertes passiert. Es gibt keine Aha-Momente, keine kathartischen Szenen, nur Alltag, der aber keineswegs banal ist, sondern von einer durchgehenden Empathie geprägt ist, die genau der Unterschied ist. So wie die Kamera stets auf Augenhöhe der Schüler bleibt, so behandelt Dieter Bachmann seine Schüler nicht von oben herab, sondern nimmt sie und ihre Sorgen ernst. Wie es ihm dabei gelingt gleichzeitig Kumpel, aber auch Respektperson zu bleiben ist das eigentlich bemerkenswerte dieses speziellen Lehrer-Schüler-Verhältnis.

Größtenteils bleibt Speth bei Bachmann und seinen Schülern, immer wieder öffnet sich aber auch ihr Blick, wird mittels Archivaufnahmen ein Porträt von Stadtallendorf skizziert. Schon im Zweiten Weltkrieg war die Ortschaft – damals noch Allendorf – ein wichtiger Industriestandort, der bald einem klassischen Muster folgte: In den Jahren des Wirtschaftswunders wurden einheimische Arbeitskräfte knapp, so genannte Gastarbeiter wurden ins Land geholt, die nicht etwa nach ein paar Jahren in die Heimat zurückkehrten, sondern sesshaft wurden. Allerdings nicht immer integriert mit den bekannten und kontrovers diskutierten Folgen.

Wie wenig durchlässig das deutsche Bildungssystem ist, wie schwer es ist, als Kind der Arbeiterklasse aufs Gymnasium zu kommen und damit die Chance zu haben, beruflich und gesellschaftlich aufzusteigen, gilt inzwischen allgemein als Manko. Doch wie lässt sich dieses Problem angehen, wie eine Lösung finden, zumal gerade Eltern aus bürgerlichen Schichten ihre Kinder gerne auf vom Wohnort weiter entfernte Schulen mit niedrigem Migrationsanteil schicken, auch wenn es eine Schule in unmittelbarer Nachbarschaft gäbe, bei der der Anteil der Schüler aus „bildungsfernen Schichten“ – wie es so schön deutsch und euphemistisch heißt – deutlich höher ist.

Eine Möglichkeit sind Lehrer wie Herr Bachmann, die nicht von Vorurteilen geprägt sind, die sich trotz aller Schwierigkeiten, trotz mancher kultureller Unterschiede auf ihre Schüler einlassen, egal woher sie stammen. Ohne Frage ist dieser Herr Bachmann, so wie ihn Maria Speth porträtiert, ein ideal, natürlich ist „Herr Bachmann und seine Klasse“ auch verklärt, mutet bisweilen fast märchenhaft an. Wie der Weg von Herrn Bachmanns Schülern nach dem Film weiter geht würde man gerne erfahren, für den Lehrer selbst bedeutet das Ende des Films auch ein Ende seiner Lehrtätigkeit: Er ist nun – sicher zum Bedauern vieler Schüler und Kollegen – pensioniert.

Michael Meyns