Das erklärte Ziel von Florian Pochlatkos anarchischer Coming-of-Age-Tragikomödie scheint zu sein, die Grenzen zwischen „normal“ und „irre“ so vehement zu verwischen, dass aus bürgerlichen Gewissheiten höchst unsicheres Terrain wird. Es geht um eine junge Frau, Pia, deren Lebensumstände alles andere als normal sind. Sie hat viel Zeit in der Psychiatrie verbracht und versucht, sich ein neues Leben aufzubauen. Aber ob es dafür so gut ist, wenn sie wieder bei ihren Eltern einzieht? Angesichts der Exzentrik der Menschen, die sie umgeben und mit der Pias Freunde zu punkten versuchen, stellt sich die Frage: Wer oder was ist hier eigentlich normal?
Über den Film
Originaltitel
How to Be Normal and the Oddness of the Other World
Deutscher Titel
How to be normal und der Versuch sich selbst zu verstehen
Produktionsland
AUT
Filmdauer
102 min
Produktionsjahr
2025
Regisseur
Pochlatko, Florian
Verleih
W-FILM Distribution
Starttermin
11.09.2025
Pia ist Mitte 20 und nach ihrem letzten Aufenthalt in der Psychiatrie zieht sie wieder in ihr altes Kinderzimmer zuhause bei den Eltern. Sie nimmt sogar einen Job als Aushilfe in der Druckerei ihres Vaters an. Aber wenn ihr Vater „Es ist alles okay“ sagt, dann merkt man sofort, dass das absolut nicht stimmt und dass Pia mit der Situation heillos überfordert ist. Sie versucht, die Erwartungen ihrer Eltern zu erfüllen, die Relikte ihrer früheren Beziehungen aufrecht zu erhalten und ihrer Welt, die komplett aus den Fugen geraten ist, zu beweisen, dass sie „wieder dazugehört“. Doch je mehr Pia sich anstrengt, desto mehr fühlt sie sich zurückgewiesen und fehl am Platze. Und sogar der heilen Welt des Elternhauses droht Unheil. Die Digitalisierung bedroht die analoge Druckerei des Vaters; die seit Jahrzehnten geltenden Regeln und Normen, an die er sich geklammert hat, gelten nicht mehr: Chaos überall, und Pia mittendrin. Die ganze Welt wird zur Droge, die in einen Horrortrip führt. Oder doch nur zu der verstörenden Erkenntnis, dass es keine Gewissheiten mehr gibt und vielleicht nie gegeben hat?
Der österreichische Autor und Regisseur Florian Pochlatko verweigert konsequent sowohl die einfachen als auch die komplizierten Antworten auf die zahlreichen Fragen, die er stellt. Er hat sein Spielfilmdebüt auf zwei tragende Säulen gestellt: zum einen auf ein surreales Stil-Gewitter aus schnellen Schnitten, Formatwechseln, abrupten Übergängen, zerdehnten Einstellungen, zahlreichen Zitaten und überraschenden eigenen Einfällen. All das soll dem Publikum offenbar unmissverständlich klar machen, dass die Wahrnehmung der Welt subjektiv und relativ ist. Zum anderen verlässt sich Pochlatko auf die atemberaubende Performance der Hauptdarstellerin Luisa Céline Gaffron. Ihre Intensität, Wildheit, Verletzlichkeit und insgesamt ihr schauspielerischer Einfallsreichtum sind schwer zu toppen.
Obwohl Pochlatko diese herausragende schauspielerischem Leistung in den Mittelpunkt seines Films gestellt hat, ist „How be normal …“ in erster Linie ein gesellschaftskritischer Film. Es geht dem Regisseur nicht um ein Einzelschicksal – so anrührend und zärtlich er seine Protagonistin auch filmt – es geht ihm um die von Neo-Liberalismus, Social Media und um den mittlerweile offenbar allgemein akzeptierten rücksichtslosen Ellenbogeneinsatz zum eigenen Vorteil. Diese Gesellschaft ist krank, sagt Pochlatko immer wieder, manchmal sehr plakativ, und hält uns allen den Spiegel vor. Wäre weniger hier mehr gewesen? Auch dies ist eine Frage, an der die Geister sich scheiden werden, wie am ganzen, wilden, ungestümen Film.
„How to be normal“ ist ein interessantes Werk geworden, das sein Publikum fordert und herausfordert, denn es ist – wie seine Protagonistin – eine „wilde Mischung“. Ernsthafte Reflexionen über die Krankheiten, an denen unsere Gesellschaft leidet, stehen neben kruden Gags, staubtrockener Schmäh prallt auf ehrliche Gefühlsausbrüche, das Erhabene kann jederzeit der Lächerlichkeit Platz machen und umgekehrt. Nicht jeder wird diesen mit voller Absicht uneleganten und wenig raffinierten Mix goutieren. Der Film ist alles andere als leicht verdaulich. Und das dürfte auch keineswegs Pochlatkos Absicht gewesen sein. Er will provozieren und polarisieren, genau wie Pia die Welt, in der sie sich zurechtfinden muss, provoziert und polarisiert. „How to be normal“ will – ganz konsequent – auf keinen Fall ein normaler Film sein. Weil sein Regisseur der festen Überzeugung ist, dass es so etwas wie Normalität nicht gibt. Auch und erst recht nicht im Kino.
Gaby Sikorski