Hunger

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Endlich findet auch einer der eindrucksvollsten Debütfilme der letzten Jahre seinen Weg in die deutschen Kinos. Steve McQueens „Hunger“ erzählt auf schonungslose Weise vom Hungerstreik eines IRA-Terroristen, doch um Politik geht es hier nicht. Die Konnotationen zu aktuellen Missständen in Gefängnissen rund um die Welt sind offensichtlich, der Realismus von Folter, Qual, Dreck und Exkrementen schwer zu ertragen. Ein herausragender Film.

Webseite: www.fugu-films.de

GB/Irland 2008, 96 Minuten
Regie: Steve McQueen
Drehbuch: Steve McQueen, Enda Walsh
Musik: Leo Abrahams, David Holmes
Darsteller: Michael Fassbender, Stuart Graham, Helena Bereen, Larry Cowan, Liam Cunningham, Helen Madden
Verleih: Ascot-Elite/ Fugu-Filmverleih
Kinostart: 13. August 2009
 

PRESSESTIMMEN:

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FILMKRITIK:

„Nordirland, 1981. 2187 sind seid 1969 in den so genannten „Unruhen“ getötet worden. Die britische Regierung hat den paramilitärischen Gefangenen den Status als politische Häftlinge entzogen.“ Mit diesen Zeilen beginnt Steve McQueens Film, wird Ort, Zeit und Umstände des nun folgenden benannt. Und doch geht es nicht um den Nordirland-Konflikt, sondern um das Schicksal von Gefangenen zu jeder Zeit, an jedem Ort, unter jeder Herrschaft. Lange hält „Hunger“ nahezu jedes persönliche Detail seiner Figuren im Dunkeln. Es beginnt mit Nahaufnahmen von geschundenen Händen, die in ein Becken heißen Wassers getaucht werden. Der dazugehörige Mann wirkt adrett, durchaus sympathisch. Er frühstückt, faltet die Serviette penibel und fährt zur Arbeit, nicht ohne vorher sein Auto nach einer Bombe abgesucht zu haben. Sein Arbeitsplatz ist das berüchtigte Maze-Gefängnis, in dem Dutzende Hardliner der IRA Gefangene sind. Die Wächter ziehen sich um, scherzen, bereiten sich auf einen ganz normalen Arbeitstag vor. Dann eine Ellipse, wieder ein Wasserbecken, wieder die Hände, mit neuen, blutigen Wunden.

Schon in diesen ersten Minuten zeigt McQueen, in der Kunstwelt seit Jahren berühmt und mit dem renommierten Turner-Prize ausgezeichnet, eine formale Klasse, die beeindruckt. In langen Scope-Einstellungen entfaltet sich die Handlung, bzw. die losen Vignetten, aus denen sie besteht. Unerbittlich blickt die Kamera auf die brutalen Methoden der Wächter, ohne Schnitt und dadurch noch unerträglicher. Blutbeschmierte Gesichter, Schläge mit Knüppeln und Fäusten, mit Kot beschmierte Zellen, Zwangsernährung, physische und psychische Erniedrigungen. McQueen mutet dem Zuschauer alles zu und das ohne den Schutzschirm einer fiktiven Geschichte, eines Unterhaltungsgenres wie dem Horrorfilm.

Eigentliche Hauptfigur ist Bobby Sands, gespielt von Michael Fassbender, in einer aufopferungsvollen Darstellung. Aus Protest gegen die Haftbedingungen beginnt Sands einen Hungerstreik, der ihn schließlich umbringt, aber auch zu einer heroischen Figur macht. Hier liegt das einzige Problem des Films verborgen, dem es zwar offensichtlich nicht darum geht eine Seite des Konfliktes gegen eine andere auszuspielen, zu entscheiden wer recht und wer unrecht hatte. Mit der bisweilen christusgleichen Inszenierung Sands läuft er immer wieder Gefahr diese Neutralität zu unterlaufen. Letztlich rettet ihn seine distanzierte, fast klinisch genaue und doch durch und durch humanisierende Inszenierung vor diesem Vorwurf. Am Ende ist es zwar der IRA-Terrorist der hier stirbt, aber der Film lässt keinen Zweifel daran, dass die Morde der IRA ebenso verwerflich sind, dass hier auch ein arabischer Mann in den Foltergefängnissen von Guantanamo und Abu Ghuraib liegen könnte, aber auch ein westliches Entführungsopfer in den Händen islamistischer Terrorgruppen. Mit formaler Klasse und einem hervorragenden Hauptdarsteller gelang Steve McQueen ein erschütternder Film, der fraglos zum Besten gehört, dass dieses Jahr im Kino zu sehen sein wird.

Michael Meyns

Nordirland. Jahre-, ja jahrzehntelang ein Problem-, ein Kriegsgebiet. Ein gewisser Friede ist seit einigen Jahren erreicht. Doch zu den schlimmsten Zeiten hörten der Hass, die Anschläge, die Straßenschlachten und auch die Toten nicht auf.

Ein besonders trauriges Kapitel stellt der Hungerstreik des Bobby Sands und seiner Freunde dar, zehn IRA-Kämpfer waren es. Sie hatten genug von den halbherzigen Verhandlungen, davon, dass das katholische Nordirland von den Engländern keine Autonomie erhielt, davon, dass sie sich von den eigenen Leuten wegen kompromisslerischer Haltung im Stich gelassen, ja verraten fühlten. Sie beharrten radikal auf ihrem Standpunkt, bis zu einem gewissen Grade nicht nur radikal, sondern fanatisch.

Bobby Sands griff zum letzten Mittel – zum Tod.

In „Hunger“ wird gezeigt, was alles dem vorausging: die Gefangennahme, der Hochsicherheitstrakt im berüchtigten Maze-Gefängnis, die schrecklichen hygienischen Zustände, zum Teil von den IRA-Kämpfern aus Protest selbst verursacht, ein versuchter Aufstand der Häftlinge und der darauf folgende, einer Folter gleichzusetzende Spießrutenlauf, die Brutalität der Gefängniswärter, von denen später einer hinterrücks erschossen wird.

Einer von Bobbys Besuchern ist der Gefängnispfarrer. In einem langen Grundsatzgespräch, in dem in harter, dialektisch überzeugender Form die Argumente ausgetauscht werden, versucht der Priester, den zum letzten entschlossenen Bobby vom Selbstmord abzuhalten. Vergeblich.

Dann die furchtbare letzte Phase. 68 Tage Hungerstreik. Der unumkehrbare Wille, aus Widerstand vor allem auch gegen das Maggie-Thatcher-Wort, dass es keine politischen Gefangenen gebe, sondern nur kriminelle, in den Tod zu gehen. Das quälende Versagen der Organe. Der letzte Besuch der Eltern. Der Todeskampf. Das Ende.

Ein formal sehr beeindruckender und thematisch erschütternder Film. Leben und Sterben eines Mannes, der von wässrigen Kompromissen nichts hielt. Michael Fassbender verleiht ihm auf bestürzende Weise Ausdruck.

Und sicherlich war Sands’ Tod nicht umsonst – jedenfalls sind heute die Verhältnisse in Nordirland einigermaßen zufriedenstellend, wenn auch nach wie vor die Nordiren zu Irland gehören wollen und die Briten das nicht zulassen. Für viele sind Bobby Sands und seine toten Freunde Helden.

Thomas Engel