I am not your Negro

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Beseelt vom gerechten Zorn über die Verhältnisse und gepaart mit kraftvoller Lust an Aufklärung gelingt Regisseur Raoul Peck ein brennend aktueller Essayfilm. Sein brillant komponierter Rückblick auf die Ära der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung sowie das Leben und Werk des verstorbenen afroamerikanischen Schriftstellers James Baldwin erschüttert. Unmissverständlich zeigt der gebürtige Haitianer, dass Unterdrückung, Ungerechtigkeit, Rassismus und Klassenunterschiede keineswegs durch globalen Neoliberalismus verschwunden sind. Das Oscar nominierte Meisterwerk des politischen Kinos kommt zu einem Zeitpunkt, da der Rassismus in den USA so virulent ist, wie vielleicht seit den sechziger Jahren nicht mehr.

Webseite: www.not-your-negro.de

Frankreich, USA, Belgien,Schweiz, 2017
Regie: Raoul Peck
Drehbuch: James Baldwin, Roul Peck
Darsteller: Samuel L. Jackson, James Baldwin
Länge: 93 Minuten
Verleih: Edition Salzgeber
Kinostart: 30. März 2017
(P.S.: Über eine geplante Fernsehausstrahlung bei ARTE sollten Kinobetreiber sich am besten mit dem Verleih abstimmen)

FILMKRITIK:

„Die Zukunft der Schwarzen in diesem Land ist genauso leuchtend oder düster wie die Zukunft dieses Landes“. Eloquent spricht der afroamerikanische, visionäre Schriftsteller James Baldwin über weißen Chauvinismus und die brutale Ignoranz des Rassismus. Worte zwischen Wut und Hoffnung. Der engagierte Intellektuelle setzt sich messerscharf mit seiner Identität im Amerika der Rassentrennung auseinander. Der Sohn eines Arbeiters und Baptistenpredigers engagiert sich, nach Jahren im Pariser Exil, aktiv in der schwarzen Bürgerrechtsbewegung. Bald zählt er zu deren meistgelesenen Wortführern.
 
Eindringlich beschreibt der in Harlem aufgewachsene Autor die Tragödie in der falschen Haut zu stecken. „Es ist ein großer Schock, wenn man im Alter von fünf bis sechs Jahren feststellt, in der Welt von Gary Cooper der Indianer zu sein“. Baldwins Texte und seine Gedanken von vor 40 Jahren über das weiße und schwarze Amerika bilden die Grundlage des Oscar nominierten Meisterwerks. Seine Erkenntnisse sind am Beginn der Ära Trump freilich erschreckend aktuell.
 
Vor allem sein unveröffentlichtes Buchfragment „Remember this House“ dient Regisseur Raoul Peck als Ausgangspunkt. Damit wollte Amerikas schwarzer Thomas Wolfe den ermordeten Ikonen der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung Medgar Evers, erschossen 1963 in der Einfahrt seines Hauses in Jackson, Mississippi, Malcom X, erschossen 1965 in Washington Heights und Martin Luther King Jr., erschossen am 4. April 1968 in Memphis, Tennessee, ein Denkmal setzen.
 
Denn Baldwin kannte sie persönlich. Schmerzhaft musste er ihren gewaltsamen Tod verkraften. Und so holt Raoul Peck die Mitstreiter des schwarzen Romanciers zusammen mit ihm zurück auf die Leinwand. Dabei revidiert er die gängige Geschichtsschreibung. Denn kurz vor ihrem Tod näherten sich die anscheinend gegensätzlichen Positionen der Männer über Militanz, Widerstand und die Möglichkeit des Zusammenlebens an. Malcom X hatte sich längst vom umgekehrten Rassismus der Black Muslims verabschiedet und der große Reverend, den selbst der Friedensnobelpreis nicht schützen konnte, prangerte den imperialistischen Vietnamkrieg an.
 
„Beide erkannten“, glaubt Regisseur Peck, „dass der Kampf auch gegen das ungerechte, wirtschaftliche Klassensystem geführt werden muss“. Bewegend drehte ehemalige Kulturminister Haitis bereits äußerst hellsichtige Filme wie „Lumumba“ über das gewaltsame Erbe von Sklaverei und Kolonialismus. Dessen aufklärerischer Wert reicht an „Z“ von Constantin Costa-Gavras, den genrebildenden Klassiker des hoch emotionalen, politisch engagierten Kinos der 1970er Jahre, heran. Und so entfaltet auch seine fulminante Collage erneut eine erschütternde Wucht. Die schwindelerregend, zeitenübergreifenden Bilderfolgen seiner mutigen Independent-Doku machen die Gräben spürbar, die Amerika immer noch durchziehen.
 
Einer strahlend-unschuldigen Doris Day im knallbunten Paillettenkleid, in einer blitzsauberen Vorstadtküche aus Delbert Manns Film „Lover Come Back“ von 1961, stellt er körnige schwarz-weißen Fotos mit erhängten Opfern der Lynchjustiz des Ku-Klux-Clans gegenüber. Die weiße Fiktion einer scheinbar sauberen Welt hinterm Gartenzaun verstört danach nur noch. Pecks unglaublich eindringlicher visueller Bogen ruft den Aufstand in den 1960er Jahren in Watts und den von Polizisten misshandelten Rodney King in Erinnerung, aber ebenso die steinigen Wege von Oscar-Preisträger Sidney Poitier und der früh verstorbenen Dramatikerin Lorraine Hansberry, für die Bluessängerin Nina Simone „To Be Young, Gifted and Black“ schrieb.
 
Die geniale Verschränkung von historischem Archivmaterial brutaler Übergriffe gegen Schwarze während der 1960er-Jahre und jüngeren TV-Clips von tödlicher Polizeigewalt gegen Afro-Amerikaner und Rassenunruhen aus Ferguson machen dieses aufrüttelnde Zeugnis zum Fanal. Einem Aufschrei gleich zeigt dieses Plädoyer gegen Rassismus Bilder aus dem Amerika von heute. Und wenn Bob Dylan´s Song „Only a pawn in the game“ aus dem Album „The Times They Are A-Changin“ nach der Szene mit der Rede Martin Luther´s King erklingt, erschließt sich, warum keine Gnade der späten Geburt existiert, solange Geschichte nicht wirklich aufgearbeitet ist. Dylan schrieb den Song damals anlässlich der Ermordung des Bürgerrechtlers Medgar Evers.
 
Die eindrucksvollen Originalaufnahmen vibrieren vor Leidenschaft. Rau, ungeschönt und mit abrupten Schnitten in hautnahe Momentaufnahmen geteilt mit rhythmischer Intensität. Dazu immer wieder aus dem Off die stolze heisere Stimme von Hollywoodstar Samuel L. Jackson, der die Texte Baldwins kraftvoll mit Schmerz und Verzweiflung vorträgt. „Wenn Amerikas schwarze Bevölkerung eine Zukunft hat, wird auch Amerika eine Zukunft haben – nicht eher. Und wenn die farbigen Völker der Welt eine Zukunft haben, werden auch die westlichen Länder eine Zukunft haben – und nicht eher“, verkündete James Baldwin einst auf dem Russel-Tribunal in Stockholm. Ein Statement so klar, wie die absolut sehenswerte Doku. Und somit gilt es den Blick nicht nur allein nach den USA zu richten. Leider kennt Rassismus keine Grenzen.
 
Luitgard Koch