Im Land meiner Kinder

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2011 erhielt der 15 Jahre zuvor von Ecuador nach Deutschland übergesiedelte Performance-Künstler und Filmemacher Darío Aguirre („Cesars Grill“) einen Brief des damaligen Hamburger Bürgermeisters Olaf Scholz, der ihm eine Einbürgerung anbot. Das inspirierte Aguirre zur stark persönlich geprägten Doku „Im Land meiner Kinder“, die den Ablauf der langen Eingliederung nachzeichnet und dabei einen Schwerpunkt auf die individuelle Erlebniswelt des Filmemachers legt. Das Ergebnis ist ein selbstreflexiver, mitunter ironischer und angenehm entspannter Beitrag zum gesellschaftlichen Dauerthema Integration. Die Deutschlandpremiere fand 2018 auf dem Filmfest Hamburg statt.

Webseite: www.imlandmeinerkinder.de

OT: Land of my Children
Deutschland, Schweiz 2018
Regie & Drehbuch: Darío Aguirre
Mitwirkende: Darío Aguirre, Mariuxi Guevara, Stephanie Tonn, César Aguirre, Andreas Tonn, Christa Tonn
Laufzeit: 88 Min.
Verleih: Peripher Filmverleih
Kinostart: 4. April 2019

FILMKRITIK:

Der Liebe wegen zog Darío aus Ecuador nach Hamburg zu seiner deutschen Freundin Stephanie, die er als Austauschschülerin kennenlernte. Fünfzehn Jahre lang musste er regelmäßig neue Visa beantragen, zehn Stück insgesamt. Damit einhergehend wurde die Liebesbeziehung immer wieder behördlich geprüft, Termine bei der Ausländerbehörde gehörten zur Routine. Bis der 2011 frisch angetretene Hamburger Bürgermeister und jetzige Finanzminister Olaf Scholz dem Langzeitgast Aguirre und rund 137.000 weiteren Migrantinnen und Migranten, die bereits jahrelang in Deutschland leben, überraschend anbot, die deutsche Staatsbürgerschaft anzunehmen.
 
Die gut gemeinte Willkommensgeste kam bei Aguirre als ebensolche an und regte ihn dazu an, seinen Weg von der Ankunft im fremden Deutschland bis zur Einbürgerung dokumentarisch aufzuarbeiten. „Seit 15 Jahren ist klar: Ich bin ein Ausländer,“ meint Aguirre. Die Frage, ob sich das mit dem offiziellen Empfang der Einbürgerungsurkunde von jetzt auf gleich ändert, und die Frage, inwiefern die neue Staatsangehörigkeit Daríos Identität beeinflusst oder auch nicht, bestimmt die Struktur des Doku-Porträts.
 
Außerdem geht es um Daríos schwierige Anfangszeit mit Stephanies Eltern, die sich mit der Herzenswahl ihrer Tochter ebenso schwer taten wie der Ecuadorianer mit den künftigen Schwiegereltern. Der teilweise in Comic-artigen Sequenzen nacherzählte Konflikt steht stellvertretend für viele weitere Konflikte, die auftreten, wenn die Sprache holprig, die Haut etwas dunkler und die Lebensart sowieso unangepasst ist. In einem Gespräch mit den Eltern erzählt Stephanies Vater, wie er damals von einer Performance seines Schwiegersohns in spe besonders „negativ schockiert“ war: Darío saß in einer Badewanne und malte ein Laken zu, hinter dem Stephanie auf einer Schreibmaschine tippte. Der Vater erkannte in Daríos öffentlich inszenierter Abkehr vom Fleiß der Tochter seine große Sorge bestätigt, nämlich die, wie ein Künstler überhaupt seinen Lebensunterhalt verdienen soll.
 
Inzwischen verstehen sich Darío und die Eltern seiner Frau viel besser, man habe damals zu wenig miteinander geredet, finden alle. Darío sei längst ein blasser Europäer geworden, meint Stephanies Mutter, und Daríos Vater sieht im Videotelefonat das Gesicht eines Deutschen. Eins der ersten Bilder aus „Im Land meiner Kinder“ ist eine Selfie-Aufnahme des Regisseurs. Das passt gut, schließlich ist die fest im alltäglichen Empfinden verankerte Doku ziemlich persönlich, ja intim. Ohne sich selbst zu stilisieren, hat Aguirre ein bündig montiertes Selbstporträt mit sauberen Bildern und kontemplativer Musik erstellt.
 
Die schnörkellose Machart korrespondiert mit dem Anspruch, das Thema unaufgeregt darzustellen. In einer Szene lesen Stephanies Eltern den Scholzschen Einbürgerungsbrief still vor sich hin. Aguirre verdichtet die Zeit hier nicht etwa mit einem Schnitt, sondern hält die Lesedauer in voller Länge fest. Integration mag alles Mögliche sein und für alle denkbaren Zwecke instrumentalisiert werden, vor allem aber ist es für die, die sich integrieren wollen, sollen, müssen ein normaler Teil des alltäglichen Lebens. Auf dem Bürgeramt bekommt Aguirre ein Merkblatt zur Verfassung ausgehändigt, später muss er Tag und Ort der Hochzeit seiner Schwiegereltern erfragen – auch das gehört dazu.
 
Christian Horn