Im Winter ein Jahr

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Der Selbstmord eines nach außen stets unbeschwerten jungen Mannes lässt seine Familie ratlos zurück. Erst ein gemaltes Porträt, das die Mutter von ihm und seiner Schwester in Auftrag gibt, setzt einen schmerzhaften und irreversiblen Prozess in Gang, an dessen Ende zwar keine einfachen Antworten jedoch eine heilsame Katharsis steht.
Caroline Link (Oscar für "Nirgendwo in Afrika") verfilmte einen Roman des amerikanischen Schriftstellers Scott Campbell. Lang erwartet – immerhin sind seit ihrer letzten Arbeit sieben Jahre vergangen – beeindruckt „Im Winter ein Jahr“ mit einem sicheren Gespür für Atmosphäre und Stimmungen. Das hochsensible, aber optimistisch leicht und ruhig erzählte Familiendrama dürfte Hauptdarstellerin Karoline Herfurth endlich einem größeren Publikum bekannt machen.

Webseite: www.imwintereinjahr.film.de

D 2008
Regie: Caroline Link
Drehbuch: Caroline Link nach dem Roman „Aftermath“ von Scott Campbell
Musik: Niki Reiser
Mit Karoline Herfurth, Josef Bierbichler, Corinna Harfouch, Hanns Zischler, Mišel Matièevic, Cyril Sjöström
Laufzeit 120 Minuten
Verleih: Constantin
Kinostart: 13.11.2008

PRESSESTIMMEN:

...auf film-zeit.de


FILMKRITIK:

Alexander (Cyril Sjöström) lebt ein Leben, um das ihn viele beneiden würden. Aufgewachsen in einem gut situierten Elternhaus, besucht er ein Elite-Gymnasium für Spitzensportler. Und dennoch scheint ihn irgendetwas zu bedrücken. So sehr, dass er sich mit einem Gewehr in den Mund schießt. Der Selbstmord ihres Sohnes zerstört für die Eltern die Illusion der perfekten Familie. Vor allem Alexanders Mutter Eliane (Corinna Harfouch), eine erfolgreiche Innenarchitektin, will sich mit der schmerzhaften Realität nicht abfinden. Stundenlang sitzt sie bisweilen im Kinderzimmer ihres Sohnes, hält Zwiesprache mit Alexander, in den sie doch so viele Hoffnungen gesetzt hat. Ihr Mann (Hanns Zischler) flüchtet sich dagegen in seine Arbeit. Als angesehener Bioniker bleibt ihm ohnehin nicht viel Zeit für die Familie.
Alexander hatte auch eine Schwester. Lilli (Karoline Herfurth) ist 22 und studiert in München Tanz und Gesang. Anders als zu ihrem Bruder war das Verhältnis zu ihren Eltern oftmals nicht frei von Spannungen. Nur wenig Begeisterung kann sie anfangs für den Vorschlag ihrer Mutter aufbringen, für ein Porträt von ihr und Alexander Modell zu stehen. Den toten Bruder plötzlich als Bild an der Wand hängen zu sehen, diese Vorstellung löst in Lilli Unbehagen aus. Nur widerwillig erklärt sie sich bereit, den Maler in seinem Atelier zu besuchen. Gänzlich unvorbereitet trifft sie dort auf Max (Josef Bierbichler). Der störrische Eigenbrödler versucht zu Lilli eine Vertrauensbeziehung aufzubauen, um so mehr über sie und ihre Familie zu erfahren. Dabei stellt sich bald heraus, dass auch in seiner Vergangenheit Dinge vorgefallen sind, die ihn bis heute verfolgen.

Es ist die sich langsam entwickelnde Beziehung zwischen Max und der vierzig Jahre jüngeren Lilli, die im Zentrum von Caroline Links intimer Familienchronik „Im Winter ein Jahr“ steht. Nach der epischen Weite ihres Oscar-prämierten Historiendramas „Nirgendwo in Afrika“ suchte Link eine Geschichte, in der bereits kleine Gesten und subtile Andeutungen einen großen Unterschied ausmachen. Bei Scott Campbells Roman „Aftermath“, der ursprünglich mit einer namhaften Hollywood-Besetzung für den Weltmarkt verfilmt werden sollte, wurde sie schließlich fündig.

Link nimmt sich viel Zeit, um das von unausgesprochenen Ängsten, Hoffnungen und Enttäuschungen durchzogene Beziehungsgeflecht vor den Augen des Zuschauers zu entwirren. Und trotz dieser Ruhe, die nicht nur Max sondern der gesamte Film ausstrahlt, entwickelt die Geschichte von den ersten Aufnahmen an eine ungeheure Kraft. Zum Ende hin findet diese Energie in Lillis improvisierter Tanzeinlage – zu Peter Gabriels „Signal to Noise“ – das passende Ventil. Ungeachtet der plakativen Gegenmontage mit einer theatralisch agierenden Corinna Harfouch zählt die Szene zweifelsfrei zu den emotionalen Höhepunkten des Films. Die für Lilli heilende Katharsis ist in diesem Augenblick mit den Händen zu greifen.

Neben der herausragenden Leistung der jungen Karoline Herfurth, die sich selbst neben einem Schauspielungetüm wie Josef Bierbichler jederzeit behauptet und der hiernach vermutlich alle Türen offen stehen, ist es vor allem der Blick für Details, den Links Romanadaption von anderen Familiengeschichten unterscheidet. Obwohl im Grunde genommen nicht viel passiert und der Plot elliptisch um Lillis Besuche im Atelier kreist, gibt es dennoch so vieles zu entdecken. Seien es die Blicke, die Lilli und Max miteinander austauschen oder die eisigen Impressionen aus der „Schöner Wohnen“-Fantasie der elterlichen Villa, Link transportiert das, was ihr wichtig ist, über klar strukturierte Bilder und Motive. Als Links Stammkomponist liefert Niki Reiser den dafür passenden musikalischen Rahmen. Seine atmosphärischen Klangimpressionen wirken wie der gesamte Film noch lange nach.

Marcus Wessel

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Im Winter vor einem Jahr hat sich Alexander Richter mit nur 19 Jahren umgebracht. Eliane, seine Mutter, kommt darüber nicht hinweg, trauert, hält sich ständig in Alexanders Zimmer auf und erzählt herum, ihr Sohn sei bei einem Jagdunfall ums Leben gekommen. Dem Vater Thomas gelingt es nicht, seine Frau zu trösten – und damit auch die Ehe zu retten. Er hat sowieso viel zuviel mit seinen Geschäften und seiner Geliebten zu tun.

Alexanders ältere Schwester Lilli, Tanz- und Gesangsschülerin, macht eine schwierige Lebensphase durch, versteht sich kaum mit ihrer Mutter, ist mit dem Tode des Bruders beschäftigt, erlebt eine kurze, unglückliche Liebe mit Aldo, vergibt die Chance, in einem Musical die Hauptrolle zu spielen. Noch einschneidender ist Lillis Begegnung mit dem älteren Maler Max Hollander, bei dem die Mutter ein Bild ihrer beiden Kinder in Auftrag gegeben hat.

Max lebt allein in seinem großen Atelier, ist vermutlich homosexuell, setzt sich mit seiner Kunst auseinander, trauert um seinen verstorbenen Freund. Dass Lilli so direkt und konkret in sein Leben getreten ist, darüber ist er gleichzeitig glücklich und irritiert; er ist ja viel älter und kriegt sie sowieso nur schlecht zu fassen. Doch es gibt Augenblicke, da harmonieren aus welchen Gründen auch immer die zwei hundertprozentig.

Das erste Jahr nach dem unbegreiflichen Tod des außergewöhnlichen Jungen Alexander geht zu Ende. Der Vater scheint wenig Fortschritte gemacht zu haben, er verlässt die Familie. Aber die anderen sind ein Stück weiter gekommen: Lilli, Eliane und auch Max.

Zugrunde liegt der Roman „Aftermath“ von Scott Campbell. Regie führte (die Oscar-Preisträgerin) Caroline Link, die auch das Drehbuch schrieb. Die gültige Charakterisierung der fünf im Vordergrund stehenden Personen und auch deren Zusammenspiel
ist ihr wiederum in besonders schöner Weise geglückt, unterstützt von der guten Musik von Niki Reiser sowie der Kamera von Bella Halben.

Und eine geeignetere Schauspielertruppe hätte Caroline Link nicht zusammenbringen können. Corinna Harfouch (Eliane), Hanns Zischler (Thomas) und Misel Maticevic (Aldo) agieren glänzend. Josef Bierbichler (Max) ist wie immer: präsent, fast überlebensgroß, kaum zu bremsen, gescheit, sympathisch. Den Vogel mit ihrer eleganten, kraftvollen und gefühligen Darstellung schießt jedoch dieses Mal die junge Karoline Herfurth ab. Ihre Lilli ist sehenswert. 

Thomas Engel