In die Welt

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Eine wohltuend klassische, geradezu spartanische Dokumentation ist Constantin Wulffs „In die Welt“. Der vielfach ausgezeichnete Film beschreibt den Alltag in einer Wiener Geburtsklinik, angefangen von Ultraschall- und anderen Untersuchungen, bis zur manchmal schweren Geburt, vergisst dabei aber auch nicht scheinbar banale Handlungen wie das Sortieren von Medikamenten oder die Buchführung. Ein hervorragender, subtil beobachtender Film.

Webseite: realfictionfilme.de

Österreich 2008 - Dokumentation
Regie und Buch: Constantin Wulff
Länge: 88 Minuten, Format: 1:1,85
Verleih: Real Fiction
Kinostart: 28.5.2009
 

PRESSESTIMMEN:

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FILMKRITIK:

Angesichts der zahllosen Dokumentationen, die auf Grund des – prinzipiell ja durchaus positiven – Dokumentarfilmbooms in die Kinos gedrückt werden, auch wenn sie kaum Fernsehformat haben, ist „In die Welt“ eine wohltuende Ausnahme. Weder auf billig nachgestellte Szenen noch auf fragwürdige Emotionalisierungsmethoden greift Constantin Wulff in seinem Film über eine Wiener Geburtsklinik zurück. In klassischer „Cinema Vérité“-Manier beobachtet er den Alltag, ist überall dabei und doch ganz zurückhaltender Zeuge. Sein Augenmerk liegt nicht auf einem oder mehreren Paaren, die ein Kind bekommen, sondern auf dem Klinikalltag, den oft ganz banalen Tätigkeiten, die um den so komplexen Akt des In-die-Welt-Bringens eines Kindes gewoben werden.

Strukturierendes Prinzip sind nicht einzelne werdende Mütter, die im Verlauf ihrer Schwangerschaft beobachtet werden, sondern die immer wiederkehrende Ereignisse in der Klinik selbst. Mehrmals sieht man etwa immer den selben Arzt eine Ultraschalluntersuchung durchführen und dabei immer freundlich, mit teils den selben Formulierungen das Embryo beschreiben. Auch als eine Mutter erfährt, dass ihr Kind einen Herzfehler hat und unmittelbar nach der Geburt operiert werden muss, ändert sich die Stimmlage des Arztes nicht. Was für die Mutter ein sichtbarer Schock ist, ist für ihn der Alltag in der Klinik, der zwar mit Anteilnahme, vor allem aber professionell bewältigt wird. Und so geht es weiter.

In Gesprächen wird über das Prozedere aufgeklärt, die immer gleichen Fragen gestellt, die immer meist ähnlichen Antworten gegeben. Während für die Mütter und Paare die Geburt ein einschneidendes Erlebnis ist, eine radikale Änderung ihres Lebens, sind die Ärzte und Schwestern mit größter Routine bei der Sache. Selbst bei schwierigen, offensichtlich schmerzhaften Geburten – bei denen die Kamera anwesend, aber dezent zurückhaltend ist – verlieren Hebamme und Ärztin nie die Ruhe, so sehr die Patientin sich auch windet.

Die größte Stärke von Christian Wulffs Film liegt in seinem Gespür für scheinbar unwichtige Details. Sein Augenmerk gilt nicht den scheinbar spektakulären Momenten, den Besonderheiten, sondern dem Alltäglichen, auch jenseits der unmittelbaren Geburt. Gleichberechtigt werden die Organisationsstrukturen des Krankenhauses gezeigt, die Besprechungen zwischen Verwaltung und Ärzten, die Bemühungen den Ablauf zu perfektionieren, aber auch die schriftliche Dokumentation jeder Geburt zu perfektionieren, nicht zuletzt zum Schutz vor möglichen Schadensersatzklagen. Doch trotz des enormen Papierberges der dabei entsteht und im Keller zu langen Regalmetern voller Akten von neugeborenen Babys angewachsen ist, beschreibt „In die Welt“ die Geburtsklinik nicht als technokratischen, kalten Ort. Am ehesten kann man seinen Blick mit dem vergleichen, den die Dokumentarfilmlegende Frederick Wiseman in seinen Filmen über amerikanische Institutionen seit Jahrzehnten verfeinert hat: Zurückgenommen aber emphatisch, vielschichtig und unsentimental, den Menschen bei der Arbeit zeigend, das besondere im alltäglichen findend.

Michael Meyns

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